Die DGB-Führung bietet Angela Merkel und Peer Steinbrück eine Gelegenheit, das Arbeitnehmerlager zu umgarnen. Die Linkspartei fühlt sich ausgegrenzt.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Zu Beginn des Bundestagswahljahres sieht es so aus, als weiche jegliches Wunschdenken im Gewerkschaftsbund (DGB) dem Realitätssinn. Nach der momentanen Wählerstimmung droht der den Gewerkschaften geradezu verhassten schwarz-gelben Koalition zwar das Aus – doch erscheint eine Machtübernahme durch Rot-Grün als illusorisch. Folglich bleibt als einzige für die DGB-Führung verträgliche Lösung eine Große Koalition.

 

So war es kein Zufall, dass die zwei hochkarätigen Gäste der DGB-Vorstandsklausur die jeweiligen Partner eines solchen Bündnisses repräsentierten: Am Dienstag diskutierten der Vorsitzende Michael Sommer und die Gewerkschaftschefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), gestern setzten sie sich mit SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück auseinander. In beiden Fällen lobte Sommer den „ intensiven, sachlichen Austausch“. Und in beiden Fällen blieb er auf Distanz – keinesfalls wollte er dem Genossen einen klaren Vorteil verschaffen.

Sommer zu Steinbrück: „Wir sind nicht deckungsgleich“

Umgekehrt warben die beiden Protagonisten um die Gunst der Gewerkschaften. So würdigte Merkel die im DGB organisierten Arbeitnehmer erneut als „starke Säule der Tarifautonomie“. Und Steinbrück verwies selbstbewusst auf die Übereinstimmung der SPD-Wahlkampfziele mit den DGB-Forderungen. Es würde ihn „sehr wundern“, wenn die Gewerkschaftsbewegung mit Blick auf ihre Wahlprüfsteine zu einem anderen Ergebnis käme, „als dass sie bei der SPD am besten aufgehoben ist“, sagte er. Sommer erwiderte: „Wir sind nicht deckungsgleich.“ Es habe sich bei dem Treffen aber gezeigt, dass es „viele Schnittmengen“ gebe. Dies gelte ebenso für andere große Volksparteien. „Und das ist auch gut so.“

Die letzte Große Koalition von 2005 bis 2009 wirkt nach – damals haben die Gewerkschaften etwa mit den Konjunkturpaketen einiges erreicht. Auch Interviewäußerungen von Sommer oder IG-Metall-Chef Berthold Huber – der zu Merkel einen besonders guten Draht hat – beleben diese positiven Erinnerungen. „Wir hatten Glück, dass eine Große Koalition regierte, als uns die letzte Krise erwischte“, betonte Sommer zum Beispiel. Auch wenn dies kein Spitzenfunktionär offen zugeben darf, weil sich der Gewerkschaftsbund im Prinzip unabhängig von den Parteien und jeglichen Bündniskonstellationen sieht, wird doch klar: Eine wirkungsvolle Politik mit klaren Mehrheiten für die zentralen Arbeitnehmerforderungen verspricht man sich nur noch von einer schwarz-roten Koalition.

„Der DGB grenzt die Linke aus“

Während Grüne und FDP ihre Wählerklientel ohnehin woanders verorten, zeigt sich die Linkspartei über die unverhohlenen Präferenzen von Sommer & Co. höchst verstimmt, weil sie im Arbeitnehmerlager ein starkes Standbein hat. „Dass der DGB die Linke ausgrenzt, halten wir für einen Verstoß gegen das Prinzip der Einheitsgewerkschaft und gegen eigene Interessen“, heißt es in einem Brandbrief von neun Linkspartei-Funktionären aus dem Gewerkschaftsmilieu an Michael Sommer.

Es sei befremdlich, dass von der Linken niemand zur Vorstandsklausur eingeladen worden sei, obwohl sie viele Vorschläge des DGB aufgreife – derweil Union und SPD „die Vertiefung der sozialen Kluft und die tarifpolitische Defensive der Gewerkschaften“ zu verantworten hätten. Unerwähnt bleibt, dass sich die Führungen beider Seiten im Februar treffen wollen. Parteichef Bernd Riexinger, zuvor einflussreicher Verdi-Geschäftsführer in Stuttgart, stochert in derselben Wunde: Die DGB-Spitzenfunktionäre schielten mehrheitlich noch immer vor allem auf die Sozialdemokratie, moniert er. Es ärgere ihn, wenn Huber und Sommer „öffentlich für eine große Koalition im Bund plädieren – damit blockieren sie einen Politikwechsel“. Soll heißen: Am liebsten würde Riexinger wohl mitregieren.

Sichtbar will sich der DGB in drei Aktionswellen in den Wahlkampf einmischen: Nach Ostern, Anfang Juni und Anfang September soll es zahlreiche betriebliche und örtliche Aktionen geben. Die IG Metall in Baden-Württemberg plant noch eine größere Veranstaltung im Juli.