Der scheidende Gewerkschaftschef Detlef Wetzel stimmt die Basis beim Bundeskongress der IG Metall auf ein anhaltendes Ringen um Werkverträge ein. Die Arbeitgeber beschuldigt er, einen „neuen ungezügelten Kapitalismus“ zu betreiben.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Frankfurt - Ein Gewerkschaftsvorsitzender sollte wissen, wann er die Arbeitgeber angreifen darf – und wann er sie moderat behandeln muss, damit sie noch zur Kooperation bereit sind. Der scheidende IG-Metall-Chef Detlef Wetzel hat diese Kunst in seiner nur zweijährigen Amtszeit beherrscht. Da Gewerkschaftstage die Gelegenheit zur Attacke sind, hat er kurz vor seinem Abgang beim Bundeskongress in Frankfurt nochmals kräftig ausgeteilt: Die Arbeitgeber seien durch die Kampagnen zu  Werkverträgen und Leiharbeit „nicht dauerhaft zivilisiert“, sagt er. Vielmehr hätten sie als „tiefgreifende Strategie“ den Weg zur Fremdvergabe eingeschlagen.

 

„Die zunehmende Zerstückelung von Wertschöpfungsketten ist die Handschrift eines neuen ungezügelten Kapitalismus“, rügt Wetzel. Die Unternehmen kündigten gezielt betriebliche Übereinkünfte und Kulturen auf. „Innerhalb kürzester Zeit schaffen sie neue Dumpingzonen und ersticken die Mitbestimmung.“ Der Kampf um die Werkverträge, den die IG Metall jüngst mit Aktionstagen verstärkt hatte, werde „um einiges härter als der um Leiharbeit“.

Wetzel ist der Kampagnen-Antreiber der Gewerkschaft. Ob sein Nachfolger Jörg Hofmann und die neue Vize Christiane Benner, die heute gewählt werden wollen, daran anknüpfen, muss sich zeigen. In jedem Fall ist der Ansatz, die ausfransenden Ränder statt nur die Kernbelegschaften in den Fokus zu nehmen, erfolgreich: Mehr als 90 000 Leiharbeiter hat die IG Metall schon an sich gebunden.

IG Metall macht Boden bei den Logistikern gut

Die Zergliederung der Wertschöpfungsketten findet zunehmend mitten auf dem Werksgelände statt. Vor allem Logistikunternehmen, die nach dem niedrigeren Speditionstarifvertrag bezahlen, sind der Gewerkschaft ein Dorn im Auge. Wetzel berichtet, dass die IG Metall schon bei 30 Kontraktlogistikern Tarifverträge durchsetzen und mehr als 4000 Beschäftigte für sich gewinnen konnte. Dies alarmiert sogar den Arbeitgeberverband des Speditionsgewerbes, der Gespräche über eine Tarifbindung angeboten hat.

Auch bei Fahrzeugherstellern wie BMW und Porsche wurde die Mitsprache der Betriebsräte bei industriellen Dienstleistungen schon vertraglich gestärkt. Schwierig war jahrelang die gewerkschaftsinterne Abgrenzung, denn andere DGB-Organisationen buhlen ebenso im Logistikbereich um Mitglieder. Mit drei Industriegewerkschaften hat die IG Metall im April ein Kooperationsabkommen vereinbart – ein Vertrag mit Verdi wird in Kürze unterzeichnet.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bekräftigte zum Auftakt des Kongresses, dass die Regierung bis Jahresende einen Gesetzentwurf vorlegen wird, um die Informationsrechte der Betriebsräte bei Werkverträgen zu verbessern und Schlupflöcher für die Arbeitgeber zu schließen. Mehr Mitsprache wird es womöglich nicht geben. Daher kündigt Wetzel eine neue „Offensive Mitbestimmung“ an. Die Politik müsse den Druck verspüren, dass dies ein zentrales Gesellschaftsthema sei.

Wirtschaftsminister lobt Wetzel

Gabriel war es auch, der Wetzel eine „großartige Bilanz“ bescheinigte. „Wenn dich jemand einen Übergangsvorsitzenden nennt, darfst du stolz darauf sein, denn du hast die schwierigen Übergänge exzellent gemeistert“, schrieb der Minister dem Siegerländer sozusagen ins Poesiealbum. „Du hast die IG Metall mit deiner Arbeit verändert.“ So viel Lob hat Wetzel, der 2013 mit einer mageren Zustimmung von 75,5 Prozent der Delegierten gestartet war, in der Vergangenheit kaum erhalten. Doch die Zahlen sprechen für ihn: Zum fünften Mal in Folge rechnet die IG Metall 2015 mit einem Mitgliederzuwachs. „Am stärksten wachsen wir bei Angestellten und jungen Menschen“, jubelt Christiane Benner. So konnte die Zahl der Studierenden seit 2012 von 12 000 auf 30 000 gesteigert werden. Auch bei den Frauen wächst die Resonanz: Mehr als 400 000 der 2,27 Millionen Mitglieder (Ende 2014) sind nun weiblich.

VW-Skandal wird als Nebensache behandelt

Volkswagen spielt im offiziellen Teil des Kongresses fast keine Rolle. Die Gewerkschaftsführung versucht, den Abgasskandal von der Bühne fernzuhalten. Wetzel gönnt ihm zunächst nur zwei dürre Sätze: Demnach sei die IG Metall mit allen solidarisch, „die von dem VW-Thema negativ betroffen sind“. Und: „Die Arbeitnehmer bei VW und anderswo dürfen nicht die Folgen dieser Krise tragen.“ Der Skandal ist ein massiver Störfaktor für die IG Metall, weil er von ihren Anliegen ablenkt.

In der Aussprache jedoch warnt ein Delegierter vor einem „Generalangriff auf die Mitbestimmung“, weil den VW-Betriebsräten nun unterstellt werde, über die Verfehlungen „von ein paar Idioten“ Bescheid gewusst zu haben. Wetzel stimmt zu: „Wir haben allen Grund, die Reihen geschlossen zu halten – den Generalangriff müssen wir zurückweisen.“ Die Strategie mancher Veröffentlichungen sei durchschaubar: Im Erfolgsfall war es das Management, „gibt es ein Problem, war es der Betriebsrat“ – als wenn ein Bankräuber aus der Bank herausläuft und ruft: „Haltet den Dieb“ .