Die Jagst gilt als Naturjuwel des Südwestens. Nun könnte der Fluss auf 120 Kilometern durch kontaminiertes Löschwasser belastet werden. Fischer und Behörden sprechen von einer ökologischen Katastrophe.

Hohenlohekreis - Der Bund für Umwelt und Naturschutz spricht gegenüber dem SWR von der „größten Flusswasservergiftung in Baden-Württemberg“ seit Jahrzehnten und zieht zum Vergleich den Chemieunfall 1986 bei Sandoz in Basel heran. Nach einem Brand in einem ehemaligen Mühlenbetrieb in Kirchberg/Jagst (Kreis Schwäbisch Hall) ist am Sonntag mit Ammoniumnitrat belastetes Löschwasser in die Jagst geflossen. Von der Brandstelle bis zur Kreisgrenze bei Langenburg hat die Schadstoffwelle bereits alles Leben – Fische, Insektenlarven, Würmer oder kleine Krebse – in dem naturnahen Gewässer ausgelöscht und ist mittlerweile in Mulfingen angelangt. Am Mittwochmittag lagen die Werte dort bei 4,26 Milligramm Ammoniumnitrat pro Liter; für Fische tödlich ist ein Wert über 0,5 Milligramm.

 

Das Gift in der Jagst sei farblos und im Wasser nicht sichtbar, sagte Kurt Kreimes, der Referatsleiter Gewässerschutz bei der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW). Es werde wie ein Schiff im Wasser mitgetrieben, dabei aber langsam auseinandergezogen, weil die Strömung nicht an allen Stellen gleich schnell sei. Die Experten sprechen daher von einer Gift- oder Schadstofffahne.

Nabu: Gesamtheit aller im Fluss lebenden Organismen ist betroffen

Im Zuständigkeitsbereich des Landratsamts Schwäbisch Hall hatte das verseuchte Wasser bereits Tausende Fische getötet. Daneben sei auch die Gesamtheit aller lebenden Organismen wie Insektenlarven, Würmer oder kleine Krebse betroffen, sagte der Sprecher des Naturschutzbundes (Nabu) in Baden-Württemberg, Hannes Huber. „Wir müssen davon ausgehen, dass ein Großteil abgestorben ist. Das ist natürlich für die betroffenen Arten fatal - aber auch für die Arten, die darauf als Nahrungsgrundlage angewiesen sind.“

Im Hohenlohekreis haben sich die Verantwortlichen nach eigenem Bekunden so gut wie möglich auf das verunreinigte Wasser vorbereitet. Sie verstärken die Maßnahmen, die zuvor im Nachbarkreis wenig bewirkt haben. Die freiwilligen Feuerwehren des Kreises und das Technische Hilfswerk stünden mit rund hundert Mann zur Belüftung des Wassers mit Hilfe von Pumpen zur Verfügung, rund 33 000 Liter Wasser würden pro Minute umgewälzt.

Zum Schutz der Biotope würden diese mit Hilfe von Sandsäcken abgedichtet und belüftet. An den Wasserkraftwerken werde versucht, die Schadstoffahne an ökologisch hochwertigen Strecken vorbei über Wasserkraftanlagen und Mühlkanäle zu leiten. Mit einem Spezialgerät werde Sauerstoff ins Flusswasser gepumpt. Etliche Helfer waren mit der Rettung der noch lebenden Fisch- und Muschelbestände beschäftigt. Mit einem Elektrobefischungsgerät wurden die Tiere betäubt und dann mit einem Netz abgefischt. Fische und Muscheln würden geborgen und oberhalb von Kirchberg unter anderem in den abgeriegelten Nebenflüssen und Biotopen ausgesetzt.

Behörden in Hall wehren sich gegen Vorwürfe von Betroffenen

„Das Regierungspräsidium Stuttgart hat uns bestätigt, dass wir alles Menschenmögliche zur rechten Zeit getan haben“, versuchen die Verantwortlichen im Kreis Hall unterdessen den Vorwurf schlechten Krisenmanagements zu entkräften. Am Dienstag hatten Betroffene an der Mosesmühle bei Bächlingen-Langenburg beklagt, sie fühlten sich von den Behörden allein gelassen. Minutiös listet Michael Knaus, Erster Landesbeamter und Stellvertreter des Landrats, die Maßnahmen auf, die er seit Sonntag veranlasst hat.

Bereits an diesem Tag seien alle anliegenden Gemeinden informiert und gebeten worden, dies an die Fischereivereine weiterzugeben. Leider hätten die Anstrengungen, die unter anderem darin bestanden, belastetes Wasser in der Kläranlage zu reinigen und in den Fluss zurückzubringen sowie Frischwasser aus dem Kocher zuzuführen, wenig bewirkt. Einen vergleichbaren Fall habe es noch nie gegeben: „Wir konnten auf keine Erfahrungen zurückgreifen“, sagte Knaus.

Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) bezeichnete das Fischsterben am Mittwoch als ökologisches Desaster. „Wir müssen nun alles Machbare versuchen, um diese ökologische Katastrophe in der Jagst so gut es geht zu bewältigen und die Auswirkungen möglichst zu begrenzen“, so Untersteller. Den Prognosen zufolge wird die Schadstofffahne nach 120 Jagst-Kilometern in einer Woche am Neckar eintreffen. Dann könne man Entwarnung geben, teilt das Landratsamt Hall mit.