Der Fund des gefährlichen Weichmachers in zwei Schulen könnte nur die Spitze eines Esslinger Eisbergs sein. Doch wie sieht es in den anderen Städten im Kreis aus?
Esslingen - Die Nachricht hat in der Elternschaft der Grundschule Sulzgries und der Zollbergrealschule eingeschlagen wie eine Bombe. Bereits im Jahr 2016 hat ein Vater auf mögliche Belastungen durch Polychlorierte Biphenyle, besser bekannt als PCB, gewarnt. Doch erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung hat die Stadt begonnen, den Hinweisen nachzugehen. Und noch viel später, erst vor wenigen Wochen, sind die teilweise beunruhigenden Ergebnisse bekannt geworden.
Bei den Messungen in den beiden Schulen sind teilweise mehr als 3000 Nanogramm PCB pro Kubikmeter Luft gemessen worden. Bis 300 Nanogramm gelten die Werte als unbedenklich, von 300 bis 3000 Nanogramm ist es – laut der geltenden PCB-Richtlinie aus dem Jahr 1994 – die Aufgabe der Stadt, die PCB-Quellen aufzuspüren und nach Möglichkeit zu beseitigen, zumindest aber für eine Verminderung der Konzentration zu sorgen. Darüber sind Maßnahmen zur Verringerung der PCB-Konzentration „zwingend zu ergreifen“.
Stadt geht in die Offensive
Nach dem anfänglichen Zögern geht die Stadtverwaltung nun in die Offensive. Auf der Homepage sind der Sachstandsbericht zur PCB-Belastung ebenso eingestellt wie die konkreten Messergebnisse aus den beiden Schulen. In der Gemeinderatssitzung am Montag, an der auch zahlreiche Eltern der zunächst betroffenen Schulen teilnahmen, hat der Esslinger Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht eingeräumt, dass er das Thema anfangs nicht ernst genug genommen habe.
Man werde nun aber alles tun, um das Problem in den Griff zu bekommen. Das seit 1989 verbotene PCB findet sich als Weichmacher in Dehnfugen, aber auch in Deckenverkleidungen und Farben. In Sulzgries etwa sind stark belastete Fugen versiegelt worden. In beiden Schulen müssen die Räume bis zur endgültigen Sanierung unmittelbar vor Schulbeginn und dann alle 20 Minuten gelüftet werden. In der Zollbergrealschule ist die Klasse, deren Zimmer den höchsten PCB-Wert aufwies, in die Mensa umgezogen.
Staatliches Schulamt schaltet Experten ein
Die Stadt hat angekündigt, nun auch Feststoffproben aus anderen Schulen und Kitas, die zwischen 1960 und 1985 gebaut worden sind, zu nehmen. Nach deren Ergebnis soll eine Prioritätenliste erstellt werden, an welchen Schulen die nächsten Luftproben genommen werden.
Corina Schimitzek, die Leiterin des Staatlichen Schulamts in Nürtingen, hat erst vor wenigen Tagen von den Esslinger Problemen erfahren. Sofort habe sie, so erklärt sie, das Regierungspräsidium als kommunale Aufsichtsbehörde informiert.
In den vergangenen Jahren sei sie mit dem Thema PCB nicht konfrontiert worden, sagt Corina Schimitzek. Auch sei sie keine Chemikerin: „Mir fehlt also die Expertise.“ Wichtig sei es deshalb, jetzt zeitnah die Einschätzung der Situation von Fachleuten einzuholen. Dabei müsse geklärt werden, wo gemessen werden müsse, und welche Sanierungsmaßnahmen gegebenenfalls notwendig seien. Schimitzek: „Wenn wir dann wirklich klar sehen, werden wir die Öffentlichkeit darüber informieren, was die nächsten gemeinsamen Schritte sind.“
So transparent wie möglich
Nachdrücklich begrüßt sie es, dass die Stadt Esslingen jetzt die vorhandenen Gutachten zur Einsicht auf ihre Homepage gestellt habe. Das Thema PCB sorge bei Eltern verständlicherweise für Beunruhigung. Deshalb sei es wichtig, das weitere Vorgehen zur Behebung des Problems so transparent wie möglich zu gestalten.
Eine große Sanierungswelle im Landkreis ist indes kaum zu erwarten. Leinfelden-Echterdingen etwa hat das PCB-Problem wohl im Griff. Dort waren im Jahr 2011 bei der Sanierung der Lindachschule im Ortsteil Stetten von Experten der Materialprüfungsanstalt (MPA) Spuren von PCB entdeckt und im Rahmen der Sanierung auch beseitigt worden. Daraufhin hatte die MPA alle Schulen untersucht, aber nur wenige erhöhte Werte festgestellt. Akuter Handlungsbedarf sei damals nicht festgestellt worden.
Ostfildern hat viele Schulen saniert
In Ostfildern sind nach Auskunft der Stadt in allen Schulen Ende der 1990er-Jahre die PCB-Werte gemessen worden. Zudem habe man zuletzt zahlreiche Schulen von Grund auf saniert, also auch kritische Dehnfugen ausgetauscht. Allenfalls in wenigen Schulen bestehe demnach die Möglichkeit, dass es überhaupt noch PCB-Ausdünstungen gebe. Nach den Esslinger Erfahrungen werde man sich nun noch einmal die Unterlagen aus dem Archiv besorgen und gegebenenfalls Nachmessungen in einzelnen Schulen vornehmen.
In Kirchheim wiederum sind alle Schulen in den Jahren 2009 und 2010 untersucht worden, nachdem in der Mörike-Schule in Ötlingen zu hohe PCB-Werte gemessen worden waren. Kritische Werte gab es ansonsten nicht, die Sanierung der Mörike-Schule wurde 2013 abgeschlossen.