In der Zollberg-Realschule ist zuviel Gift in der Raumluft. Kernsanierung oder Abriss, das ist jetzt die Frage.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Noch immer sind die PCB-Grenzwerte in der Zollberg-Realschule in einzelnen Klassenzimmern bis zum Fünffachen überschritten. Der krebserzeugende Stoff ist aus den Deckenplatten, den Böden und den Betonfugen bereits zu tief in die Inneneinrichtung der Klassenzimmer diffundiert. Sogar in jenen Klassenzimmern, die testweise von den PCB-verseuchten Deckenplatten befreit worden sind, ist der Grenzwert immer noch überschritten.

 

Der Schluss, den die Esslinger Stadtverwaltung daraus gezogen hat, ist klar: Der Unterricht kann in diesem Gebäude nicht mehr fortgesetzt werden. Die Stadt ist bereits dabei, Container zu kaufen oder anzumieten, in denen die Schülerinnen und Schüler so lange unterrichtet werden, bis Klarheit über die Zukunft des Schulgebäudes herrscht. Denn die Frage ist noch offen, was billiger ist. Eine Kernsanierung oder der Abriss und der Neubau der Zollberg-Realschule.

Dabei hat die Stadt mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie muss in aller Eile einen geeigneten Architekten finden, und sie muss genügend Container auftreiben. Dennoch sollen zum Ende der Pfingstferien für die allermeisten Schüler Container vorhanden sein.

Die Grünen-Fraktion hatte vorgeschlagen, einige Klassen in die inzwischen leer stehende Adalbert-Stifter-Schule in der Pliensauvorstadt zu verlagern. Das habe jedoch die Schulleitung abgelehnt, berichtete der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger dem Verwaltungsausschuss des Esslinger Gemeinderates am Montag. Ein Unterricht an zwei Standorten sei nicht möglich, habe es von der Leitung der Zollberg-Realschule geheißen.

PCB gehört zum „dreckigen Dutzend“

Die Zeit drängt auch aus einem anderen Grund: Die Experten rechnen damit, dass mit den steigenden Temperaturen, die Ausdünstungen von PCB noch einmal zunehmen werden. Seitdem das Gift PCB in der Zollbergrealschule gefunden wurde, kennt jeder in der Esslinger Verwaltung das Kürzel. PCB, Polychlorierte Biphenyle, sind krebsauslösende giftige Chlorverbindungen, die beispielsweise in Fugendichtungen verwendet wurden, um sie geschmeidig zu halten. PCB zählt laut dem Internetlexikon Wikipedia inzwischen zu den zwölf als „dreckiges Dutzend“ bekannten organischen Giftstoffen, die im Mai 2001 weltweit verboten wurden.

Schon in geringen Mengen gilt PCB als giftig. Es verursacht Hautkrankheiten, Haarausfall, Leberschäden und schädigt das Immunsystem, es gilt als krebserregend und soll die körperliche und geistige Entwicklung verzögern.

Deswegen hatte die Verwaltung auf den PCB-Fund zunächst mit Notmaßnahmen reagiert. Die Räume wurden alle 20 Minuten schockgelüftet, große Fensterventilatoren sollten für den Luftaustausch sorgen. Doch war dieser Notbehelf einem geordneten Unterricht nicht förderlich.

Tatsächlich hatte das Brummen der Lüftermotoren den Unterricht erheblich gestört, und die Schüler saßen bei den kalten Temperaturen, die zur Zeit herrschen, in Winterkleidung und mit klammen Fingern am Schreibtisch. Besonders hart traf es die Lehrer: Mitte April hatten sich zwölf von 40 Lehrkräften krank gemeldet, allerdings nicht wegen Vergiftungserscheinungen, sondern weil sich sich durch die ständig offenstehenden Fenster Erkältungen zugezogen hatten.

Das Problem könnte seit zwei Jahren bekannt sein

Dabei ist die Kontaminierung schon lange bekannt, oder besser gesagt, sie hätte bekannt sein können. Die hohen Konzentrationen hatte ein Elternteil bereits im Jahr 2016 entdeckt und zeitnah einen Hinweis an die Stadtverwaltung geschickt. Doch war das Schreiben dort offenbar unbemerkt geblieben. Ein Fehler, für den sich der Esslinger Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht in einer teilöffentlichen Informationsveranstaltung am 2. Mai entschuldigte.

Durch die hohen Grenzwerte aufgeschreckt, hat die Stadt nun auch eine Art PCB-Fahrplan aufgestellt. Systematisch sollen die öffentlichen Gebäude, und besonders Kindertagesstätten und Schulen, die zwischen 1960 und 1980 gebaut wurden, nach dem gefährlichen Weichmacher durchforscht werden.