Eine Saison lang hat der amerikanisch-israelische Geiger Gil Shaham als temperamentvoller Residenzkünstler das SWR-Symphonieorchester begleitet. Jetzt hat gemeinsam mit dem Dirigenten Omer Meir Wellber Tschaikowskys Violinkonzert zu einer unterhaltsamen Zirkusnummer gemacht.

Stuttgart - Der Anfang ist ein Wunder. Der Schweiß, der diesem Schlachtross der romantischen Virtuosenliteratur sonst aus allen Poren tropft: Er ist wie weggezaubert. Schon die Eingangstakte von Tschaikowskys Violinkonzert klingen am Donnerstagabend im Beethovensaal leicht und luftig. Gil Shaham, in dieser Saison Residenzkünstler beim SWR-Symphonieorchester, spielt den Solopart; zwar wird sich bis zum Ende des Satzes doch noch manche effekthascherisch angeschliffene Note, mancher eher gestemmte und gedrückte Ton einschleichen, aber der Gesamteindruck des wohltuend Durchlüfteten bleibt. Gemeinsam mit dem jugendlich stürmenden 37-jährigen Israeli Omer Meir Wellber am Pult formt Shaham, zwar zehn Jahre älter, aber dem Charakter nach ein Dauerjunger, Tschaikowskys Geigen-Hit als intelligente Unterhaltungsmusik. Die Darbietung lebt von lustvoll herauspräparierten dynamischen und klangfarblichen Extremen, vor allem aber von einem oft in aberwitzige Dimensionen vorangepeitschten Tempo. Besonders vor der Kadenz im ersten Satz wirkt die Geschwindigkeit geradezu olympisch, und zum Schluss hin kultiviert Shaham mit verschmitztem Lächeln immer wieder seine Idee, dem musikalischen Fluss winzige Beschleunigungsmomente einzukomponieren, die wie Stromschnellen wirken. Im Andante-Mittelsatz nimmt er sich oft derart zurück, dass die solistischen Bläser plötzlich zu Hauptakteuren werden. Und im Finale gibt er den Spielmann, dessen Spiel mit Verzögerungen (vor allem vor dem ersten Schlag) und dessen mitreißende Lust am Zirzensischen das Orchester gerne aufgreift. So machen Solist und Dirigent das schwere Stück ernster Musik zu einer Shownummer, und Shaham gibt mit Lust das Zirkuspferd. Man muss das nicht schätzen, kommt aber nicht umhin, es zu lieben.

 

Bruckner zwischen Atemlosigkeit und Langeweile

Bruckner danach ist allerdings eine herbe Enttäuschung. Omer Meir Wellber lässt die Vierte wirken wie ein säkularisiertes Gotteshaus, in dem nur noch Räumlichkeit, Atmosphäre und die Farben der Glasfenster an frühere, weihevolle Zeiten erinnern. Die monumentalen, pathetischen Wallungen, die weiten Bögen, der Weihrauch hinter der Musik: All das interessiert den Dirigenten nicht. Muss es auch nicht unbedingt, aber Wellbers eher kleingliedriger Zugriff findet zu keiner Idee. Bis auf das fein geformte Ländler-Trio verläppert vieles, und die Atemlosigkeit, mit der Wellber schon Tschaikowsky vorantrieb, zeitigt bedauerliche Kollateralschäden – nicht nur beim ersten Horn. Bruckners „Romantische“ wirkt lang und langweilig, und mit großer Heftigkeit sehnt man sich zurück.