Beim Gipfeltreffen der Brics-Staaten in Südafrika wird auch über die Erweiterung entschieden: 23 Länder wollen dem Bündnis beitreten. Dabei spielt der Ukraine-Krieg eine entscheidende Rolle.
Nach dem Gipfeltreffen der Brics-Staaten in Johannesburg könnte die Welt eine andere sein. Die fünf Staatschefs wollen bei ihrem am Dienstag beginnenden dreitägigen Treffen vor allem über die Erweiterung ihres Bündnisses entscheiden: 23 Länder haben bereits ihren Willen zu einem Beitritt kundgetan. Die Liste verrät, in welche Richtung sich der Staatenbund mit ihrer Aufnahme bewegen würde, denn zu den Kandidaten gehören der Iran, Kuba, Weißrussland und Venezuela.
Deren Regierungen machen aus ihrer Abneigung gegen die „Hegemonialherrschaft“ der USA und seiner westlichen Vasallen kein Hehl und werden das Bündnis noch deutlicher zum Bollwerk gegen die Dominanz des Westens profilieren. Die Brics-Erweiterung drohe zu einer zunehmenden Spaltung der Welt wie während des Kalten Kriegs zu führen, warnt selbst der Ministerialdirektor im südafrikanischen Außenministerium, Zane Dangor: „Wenn wir eine Politik der Einflusszonen zementieren, geht das auf Kosten der Entwicklung und des Friedens.“ Wie explosiv allein die Debatte über die Erweiterung eines Bündnisses sein kann, stellte sich bereits in der Ukraine heraus.
Die Brics-Staaten repräsentieren 42 Prozent der Weltbevölkerung
Brics wurde 2009 gegründet, damals noch mit den vier Mitgliedern Brasilien, Russland, Indien und China – ein Jahr später kam Südafrika als fünftes Rad am Wagen hinzu. Auf die Idee einer derartigen Allianz war ausgerechnet ein westlicher Banker gekommen, der damalige Chefökonom von Goldman Sachs, Lord Jim O’Neill. Ihm schwebte ein wirtschaftlicher Zusammenschluss der großen, schnell wachsenden Ökonomien des globalen Südens vor. Sowohl Russland wie später Südafrika bildeten eine Ausnahme: Russland ist nur ohne geografische Vorkenntnisse zum globalen Süden zu zählen. Und Südafrikas Wirtschaft ist weder groß, noch wächst sie schnell. Das Kap war als Brückenkopf für den afrikanischen Kontinent gedacht: Nicht zufällig lädt Pretoria zu jedem in Südafrika stattfindenden Gipfel sämtliche afrikanischen Staatschefs ein.
Keines der Turboländer war bei der Gründung 2009 bei G7 vertreten
Schon vor einer Erweiterung repräsentiert Brics 42 Prozent der Weltbevölkerung (rund 3,2 Milliarden Menschen) und fast ein Drittel am globalen Bruttoinlandseinkommen (BIP). Auch wenn es für 20 Prozent des Welthandels sorgt, ist der Zusammenschluss kein Handelsblock: Der Warenverkehr zwischen seinen Mitgliedern macht nur sechs Prozent ihres gesamten Handels aus. O’Neill hatte Brics als Wirtschaftsallianz ins Auge gefasst: Denn im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums war den vier Gründungsstaaten ein rasantes Wirtschaftswachstum gemein. Keines der Turboländer war im Club der Industrienationen G7 vertreten, für den O’Neill nur Verachtung übrighat. Deren Hybris, die Welt am Laufen zu halten, sei „peinlich“. Ihr Einfluss nehme auch wegen der Dauerstagnation Japans und Italiens ständig ab, während die Brics-Staaten auf der Überholspur verkehrten.
Das war zumindest bis zum zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts so: Dann sackten Russland und Brasilien stark ab, während der Zwerg Südafrika dazukam. Als Wachstumsmotoren blieben lediglich China und Indien. Doch die stehen sich nicht nur an ihrer gemeinsamen Grenze feindlich gegenüber: „Nennen Sie mir eine Sache, in der China und Indien je übereinstimmen“, bemerkt Banker O’Neill im Interview mit dem Magazin „African Business“ bissig. Als dann noch der Rechtspopulist Jair Bolsonaro in Brasilien an die Macht kam und Putin angesichts des stotternden russischen Wirtschaftsmotors immer nationalistischere Töne anschlug, blieb als kleinster gemeinsamer Nenner der Brics-Staaten nur der Antagonismus zur G7.
Seit dem Ukraine-Krieg ist es um die politischen Unschuld vorbei
Brics wurde zunehmend politisch. Die Forderung nach einer angemesseneren Repräsentation des globalen Südens in internationalen Gremien wie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dem Weltwährungsfonds (IWF) oder der Welthandelsorganisation (WTO) wurden immer lauter und nicht ohne Erfolg erhoben: Der WTO steht heute die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala vor. Auch die Kritik am „Diktat“ der Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank aus den 1970er und 80er Jahren wurde wieder aufgegriffen, unter anderem mit dem Ergebnis, dass sich Brics inzwischen seine eigene Entwicklungsbank, die New Development Bank zugelegt hat.
Mit der Zuspitzung des Machtkampfs zwischen den USA und China wurden die Töne noch schriller. Und als Russland in die Ukraine einmarschierte, war es um die politische Unschuld des Wirtschaftsbündnisses vollends getan. Das brachte die drei restlichen Mitglieder in Bedrängnis: Denn Brasilien versteht sich nicht als westliche Antipode und hat mit der Brics-Erweiterung auch die größten Schwierigkeiten. Südafrika droht zwischen den prorussischen alten Befreiungskämpfern des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und der prowestlichen Geschäftswelt innerlich zerrissen zu werden.
Die Idee einer Brics-Währung hat sich schon vor dem Gipfel erledigt
Und Indien sieht sich spätestens seit dem Washington-Besuch seines Premierministers Narendra Modi im Juni einer massiven Charmeoffensive der US-Regierung ausgesetzt. Modi musste von Gastgeber Cyril Ramaphosa überredet werden, überhaupt zum Gipfel nach Johannesburg zu kommen – wie Putin zu einer Absage überredet werden musste. Auch wenn Indiens Regierung versichert, grundsätzlich nichts gegen die Brics-Erweiterung zu haben: Spätestens wenn es um die konkreten Bedingungen für eine Mitgliedschaft geht, wird sich die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt wieder ihrer Rivalität mit China besinnen. Das Thema Erweiterung ist also längst nicht entschieden.
Ein anderes Reizthema ist schon vor dem Gipfel gestorben: die Einführung einer eigenen, gegen den US-Dollar gerichteten Brics-Währung. Der Vorschlag sei „hochgradig lächerlich“, spottet Bric-Vater O’Neill: „Eine jener Unsinnigkeiten, die nur gesagt werden, weil sie gut klingen.“ Eine gemeinsame Währung sei an eine gemeinsame Zentralbank und Geldpolitik gekoppelt: Voraussetzungen, die vollkommen illusorisch seien. Denkbar ist höchstens, dass beim Handel unter den Brics-Staaten zunehmend lokale Währungen wie der Yuan, Rupi oder Rand zum Einsatz kommen. Doch damit ist die Welt noch keine andere geworden.