Die Tele-Thermometer kommen – und verraten die heißesten Regionen für die Grippemittelwerbung.

Stuttgart - Im Jahr 2008 entwickelte Roni Zeiger, damals Chef für Gesundheitsrelevantes bei Google, einen Algorithmus, der den Ausbruch und den Verlauf von Grippewellen einschätzen sollte: Google Flu Trends (GFT). Durch die Zusammenfassung und Auswertung von Millionen von Suchanfragen sollten genaue Vorhersagen über die Grippeaktivität in 25 Ländern zustandekommen. Die Schätzungen stimmten anfangs mit den konventionellen Überwachungsdaten gut überein, die von den Gesundheitsbehörden erhoben wurden.

 

Im Februar 2013 sorgte GFT für Schlagzeilen, die nicht im Sinne der Erfinder waren. Das Wissenschaftsmagazin „Nature“ berichtete, dass der Google-Grippedetektor mehr als das Doppelte an Arztbesuchen für grippeähnliche Erkrankungen voraussagte als die US-Gesundheitsbehörde, deren Schätzungen auf Meldungen aus Gesundheitslabors basieren. Das Renommee von GFT als vorbildliche Anwendung von Big Data wurde in Mitleidenschaft gezogen, der Algorithmus von Google überarbeitet.

Der ursprüngliche Anspruch von GFT war eine Genauigkeit von 97 Prozent gewesen. Spätere Prognosen waren jedoch manchmal sehr ungenau – insbesondere zwischen 2011 und 2013, als der Algorithmus die Grippeprävalenz ständig überschätzte. Google Flu Trends veröffentlicht inzwischen keine aktuellen Prognosen mehr; die bisherigen gibt es weiterhin zu Forschungszwecken.

Wo öfter Fieber festgestellt wird, verstärkt die Firma ihre Werbung

Inzwischen haben wir mit dem Internet verbundene Thermometer, die nicht nur Auskunft über die Körpertemperatur geben – sie teilen interessierten Firmen auch mit, in welcher Gripperegion man aktuell am besten Werbeanzeigen schaltet. So erwarb das kalifornische Haushaltswaren- und Chemieunternehmen Clorox, das unter anderem Desinfektionsmittel anbietet, Lizenzinformationen von Kinsa, einem 2012 gegründeten Start-up, das smarte Thermometer verkauft.

Die Thermometer synchronisieren sich mit einer Smartphone-App, die es Nutzern ermöglicht, ihre Fiebersymptome zu verfolgen, was besonders für Eltern von Kleinkindern attraktiv ist. Die erworbenen Daten zeigten Clorox die Postleitzahlenbereiche, in denen öfter Fieber festgestellt wurde. Dort verstärkte die Firma ihre Werbeaktivitäten.

Nach Angaben von Inder Singh, dem Gründer von Kinsa, sollen in amerikanischen Haushalten bereits mehr als 500 000 smarte Thermometer zu finden sein. Bei Kinsa hebt man die Nützlichkeit der Gesundheitsdaten hervor, sie seien aggregiert und enthielten keine auf eine Person zurückführbare Informationen mehr, wenn sie an andere Unternehmen weitergegeben würden.

Lautsprecher können Symptome wie Husten und Schniefen beim Sprechen erkennen

Das Internet der Dinge bringt eine neue Ebene der Bequemlichkeit mit sich – und wachsenden Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre. Amazon hat kürzlich einen Patentantrag eingereicht, in dem dargelegt wird, wie das Unternehmen Medikamente oder Rezepte für ein heißes Süppchen an Personen empfehlen kann, die Amazons intelligenten Echo-Lautsprecher verwenden. Einem Bericht zufolge kann das Gerät Symptome wie Husten und Schniefen beim Sprechen erkennen.

Sollte es bald auch zwischen grippebedingtem und Raucherhusten differieren können, den Unterschied zwischen dem Genuss nichtalkoholischer und alkoholischer Getränke an feinen Unterschieden der Schlürfgeräusche erkennen und das Knuspern von Mais- und Kartoffelchips auseinanderhalten, steht auch punktgenauer Genussmittelreklame nichts mehr im Weg. Ich kenne den derzeitigen Stand der Langeweileerkennung nicht, aber Alexa und Co. werden uns wohl auch in dem Fall wertigen Zeitvertreib anbieten.