Der Autor Peter Glaser übt sich nach den Schießereien an US-amerikanischen Schulen in seinem Glauben an das Gute im Menschen.

Stuttgart - Ein paar Tage nachdem die Kongressteilnehmer wieder nach Hause gefahren waren, ließen die Bombendrohungen und die Interviewanfragen nach. Doch Internetkommentare waren immer noch ein Problem. „Ihr seid Landesverräter“, schrieb ein Mann auf Facebook. Gemeint waren Joe Groves und seine Crew. Groves gehört ein kleines Restaurant namens Ellen’s im texanischen Dallas, wo Anfang Mai das jährliche Treffen der National Rifle Association (NRA), der US-Schusswaffenlobby, stattfand. Mehr als 80 000 Knarrenfreunde strömten damals in die Stadt.

 

Es war im Nachgang des US-Schulmassakers in Parkland, Florida, am 14. Februar, bei dem ein 19-Jähriger an seiner ehemaligen Highschool 14 Schüler und drei Erwachsene erschossen hatte. Präsident Donald Trump plädierte daraufhin dafür, Lehrer zu bewaffnen. Die NRA sprach sich für mehr bewaffnete Wachen in den Schulen aus. Als die Schüsse in der Highschool in Parkland fielen, patrouillierte ein bewaffneter, uniformierter Hilfssheriff auf dem Schulgelände, der aber nichts unternahm. Es war bis dahin bereits die 18. Schießerei an einer amerikanischen Schule in diesem noch jungen Jahr, aber sie löste ungewöhnlich heftige Proteste gegen die laschen Waffengesetze in den USA aus.

Leise den Zeigefinger gehoben

Joe Groves hatte nur leise den Zeigefinger gehoben. Während der NRA-Convention teilte er seinen Kunden in einer Zeile auf dem Kassenbon mit, dass das Restaurant einen Teil seines Erlöses spenden würde, um „vernünftige und effektive Waffenregularien“ zu unterstützen. Der Streaming-Sender NRA TV erklärte Groves daraufhin den Krieg. So etwas sei businessmäßiger Selbstmord, verkündete einer der Moderatoren.

Die NRA twitterte den Scan eines solchen Kassenbons und forderte die Kongressbesucher auf, das Lokal zu boykottieren. Auf Facebook und dem Empfehlungsportal Yelp fielen Tausende NRA-Mitglieder sowie auch Menschen, die Groves mutig fanden, in die Online-Präsenz von Ellen’s ein. „Ich bevorzuge meine Pfannkuchen ohne Kugeln“, schrieb einer. Ein anderer behauptete auf Craigslist, Ellen’s würde dichtmachen und die Einrichtung stünde zum Verkauf. Es gab Fake-Tischreservierungen.

Große Online-Gereiztheit

Die NRA repräsentiert zwar nur rund sieben Prozent der amerikanischen Waffenbesitzer, das aber sind die kompromisslosen. Aus der großen Online-Gereiztheit sprang die Story nun auf die klassischen Medien über. „Ich dachte erst, ich werde das ganze Wochenende an Tische gehen und darüber reden“, sagt Groves. „Ich hatte keine Vorstellung davon, dass das eine internationale Nachricht wird.“ Durch die unkontrollierbare Feuerkraft der sozialen Medien kann ein solcher Schuss wie die NRA-Boykotthetze aber auch nach hinten losgehen – im positiven Sinn. Der ganze Online-Krawall wirkte sich so aus, dass das Geschäft brummte. Ellen’s füllte sich mit Leuten, die Groves gemäßigte Absicht unterstützten. Über das „NRA-Wochenende“ hatte Groves knapp 500 Gäste mehr als sonst.

Es gab auch unbehagliche Momente. „Ich bin auf dem Weg und werde diesen Platz mal etwas freischießen“, mailte ein Anonymus, „und du wirst mein erstes Ziel sein.“ Ein anderer schrieb: „Ich wollte was essen, aber ich möchte nicht mehr hier sein, wenn die Bombe hochgeht.“ Auf NRA TV hieß es, das Restaurant habe Schusswaffenbesitzern quasi ins Gesicht gespuckt. Am Muttertag überreichte Joe Groves dem lokalen Ableger von Moms Demand Action – einer Initiative, die nach dem Schulmassaker in Sandy Hook im Dezember 2012 ins Leben gerufen worden war – einen Scheck über 15 000 Dollar.