Jüngst haben die Ergebnisse einer EU-Studie zu Rückständen der Droge „Crystal“ im Abwasser aufschrecken lassen: Erfurt steht europaweit sehr weit vorn. Experten haben mit Blick auf „Crystal“ in Thüringen große Sorgen.

Erfurt - Auf die Knochen abgemagert, lichtes, stumpfes Haar, die Haut ledrig und mit Flecken übersäht. Den Anblick der jungen Crystal-Abhängigen wird Polizist Patrick Martin nicht vergessen. „Das Mädchen war keine 20 Jahre alt, sah aber aus wie 70.“ Sie habe nur noch für die Droge gelebt und sogar das Essen vergessen.

 

Martin, Sprecher der Landespolizei und selbst Familienvater, kann von vielen ähnlichen Fällen berichten. Die Designerdroge Crystal scheint den Freistaat zu überschwemmen. Aus der noch nicht veröffentlichten Kriminalstatistik für das vergangene Jahr geht nach Polizeiangaben hervor, dass der Konsum des illegalen Aufputschmittels zugenommen hat - der Handel sogar um einen zweistelligen Wert.

Crystal Meth ist das weitverbreitestete illegale Rauschmittel in Thüringen“, sagt die Büroleiterin der Landesstelle für Suchtfragen, Dörte Peter. Sie bezieht sich in ihrer Einschätzung vor allem auf die jüngsten Ergebnisse des Münchner Instituts für Therapieforschung.

Crystal ist vor allem ein Problem im Osten Deutschlands

In seiner deutschlandweiten Suchtstatistik für 2016 listete das Institut rund 1170 Menschen auf, die im Beratungsnetz der Thüringer Suchthilfe mit psychischen oder Verhaltensstörung aufgrund von Crystal oder anderen Stimulanzien erfasst sind. Im Jahr 2014 waren es noch knapp 1130. Und auch im Vergleich zu Cannabis mit 690 Fällen 2016 setzen sich Crystal und Co. deutlich ab. Die Dunkelziffer der Crystal-Abhängigen im Freistaat schätzt Peter auf mindestens 13 000.

Jüngst haben zudem die Ergebnisse einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht aufschrecken lassen: Im europaweiten Vergleich von 60 Städten wurden im Erfurter Abwasser die größten Rückstände von Methamphetamin nach Chemnitz gemessen. Peter hält die Studie jedoch für wenig seriös. Für die Untersuchung seien Abwasserwerte nur innerhalb einer Woche überprüft worden. Allerdings untermauerten die Ergebnisse das Ausmaß des Konsums.

Die Untersuchung zeigt zudem: Das schnell abhängig machende Crystal ist vor allem ein Problem im Osten Deutschlands. Neben Thüringen sind Sachsen, aber auch Bayern betroffen. „Je näher an Tschechien, desto größer das Problem“, sagt Polizist Martin. Auch aus illegalen Drogenküchen in der Slowakei oder über Umwege aus den Niederlanden komme das kristalline Methamphetamin. Im Freistaat selbst habe die Polizei noch nie eine „Meth“-Küche ausgehoben.

Durch die Wirkung der Droge kipt die Stimmung der Betroffenen innerhalb von Minuten

Hier müssen sich die Beamten dafür mit den Dealern herumschlagen, die oft genug auch selbst Konsumenten sind. „Es ist tatsächlich so, dass wir in Thüringen fast jeden Tag mindestens eine Drogenfahrt registrieren“, sagt Martin. Er bezieht sich damit auf Autofahrer, die meist nachweislich unter Einfluss von Cannabis oder Meth oder sogar beidem unterwegs sind.

Dazu komme, dass „Meth-Heads“ unberechenbar seien. Durch die Wirkung der Droge kippe die Stimmung der Betroffenen innerhalb von Minuten. Häufig würden sie sogar extrem aggressiv. „Crystal-Konsumenten sind grundsätzlich auffälliger als andere Drogenkonsumenten“, sagt Martin. Das gefährde auch die Polizisten.

Vor allem aber gefährden sich die Konsumenten selbst. So bestehe die Möglichkeit, dass die Droge mit noch ungesünderen Mitteln wie Strychnin gestreckt sei. „Oft werden winzige Glassplitter dazu gemischt“, berichtet Martin. So solle die Nasenscheidewand verletzt werden, damit der Wirkstoff schneller ins Blut gelangt.

„Crystal Meth beinhaltet ein deutlich höheres Problempotenzial als zum Beispiel Cannabis“, sagt Suchtexpertin Peter. Besonders schwerwiegend seien etwa die Auswirkungen wie Herzrhythmusstörungen, Schäden der Haut und Zähne, extremer Gewichtsverlust, Psychosen, Angst- und Schlafstörungen. Auch das Sozialumfeld leide mit.

„Das Problem ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Keinesfalls handele es sich bei den Konsumenten nur um sozialschwache Großstadtbewohner, wie es klischeehaft oft heißt. Auch durch vergleichsweise preiswerte Herstellungsmethoden und damit günstige Endpreise sei Crystal weit verbreitet, sagt Polizist Martin. „Das Problem ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Mal griffen die Menschen wegen einer persönlichen Tragödie zu Crystal, mal als Ersatz für andere Suchtmittel, mal für den schnellen Kick. Aber auch Leistungsträger der Gesellschaft oder Studenten nutzten die Droge ihrer aufputschenden Wirkung wegen, sagt Martin. Peter ergänzt um alleinerziehende Mütter, Schichtarbeiter, Politiker und Partygänger.

Gerade auch wegen der unterschiedlichen Konsumenten stelle Crystal Meth die Suchtkrankenhilfe in Thüringen vor große Herausforderungen, heißt es beim Gesundheitsministerium in Erfurt. Seit diesem Jahr wird aufgrund der Entwicklungen in der Landesstelle für Suchtfragen eine Fachstelle zum Thema Crystal aufgebaut. Aber auch mit vielen anderen Projekten und Angeboten versucht Thüringen dem Problem besser Herr zu werden.

Entscheidend sei Prävention, sagen Suchtexpertin Peter und Polizist Martin. Gerade an Schulen sei Aufklärung wichtig. „Schüler müssen wissen: Schon der erste Konsum kann tödlich sein“, betont Martin.