Die Mitgliederzahlen der Kirchen sinken zwar, auch in Stuttgart-Vaihingen und Stuttgart-Möhringen. Doch ein Blick in die Statistik legt einen anderen Rückschluss nahe.

Möhringen/Vaihingen - Weihnachten ist die Zeit, in der sich die Menschen wieder an ihren Glauben erinnern. Die Kirchen füllen sich in Vaihingen und Möhringen. An diesem andachtsvollen Tag, der Geburt von Jesus Christus, sehen die Pfarrer und Priester, wie viele Mitglieder ihre Gemeinde eigentlich umfasst.

 

Doch der Anblick voll besetzter Kirchenbänke ist selten geworden. Die traditionellen Amtskirchen schwinden, die Anzahl der evangelischen und katholischen Bürger sinkt sowohl in den einzelnen Stadtbezirken als auch in ganz Stuttgart. Das statistische Amt der Stadt Stuttgart sammelt die Daten über die Religionszugehörigkeit der Bürger. In Vaihingen und Möhringen gehört mittlerweile rund die Hälfte der Bewohner der evangelischen oder katholischen Konfession an.

Zum Vergleich: Im Jahr 1995 gaben noch rund 70 Prozent der Bürger an, Protestant oder Katholik zu sein. Dabei gingen die Zahlen der Katholiken nur leicht zurück, die Protestanten jedoch verloren deutlich mehr Mitglieder.

Katholisch sein ist weniger out

Besonders gut lässt sich der Rückgang der evangelischen Gläubigen in Möhringen erkennen. 43 Prozent der Möhringer waren 1995 evangelisch, im Jahr 2015 waren es noch 30 Prozent. Im selben Zeitraum sank der Anteil der Katholiken deutlich geringer um vier Prozent von 27 auf 23 Prozent. Die Religionszugehörigkeit in Vaihingen liefert ein vergleichbares Bild.

Überspitzt formuliert ist katholisch sein auf den Fildern nicht ganz so „out“ wie evangelisch zu sein. Trotz allem ist immer noch ein großer Bevölkerungsteil in den Kirchen, wie unsere Grafik zeigt. Auf der Filderebene wohnen noch die meisten Protestanten im Vergleich zu den anderen Stuttgarter Stadtbezirken. Insbesondere in Degerloch sammeln sich evangelische Bürger, auch Vaihingen und Möhringen beherbergen mehr Protestanten als der Stuttgarter Durchschnittsbezirk.

Stuttgart ist traditionell eine evangelische Stadt. 1534 führte Herzog Ulrich die Reformation in Württemberg ein, noch im selben Jahr feierten die Protestanten in der Stuttgarter Stiftskirche den ersten evangelischen Gottesdienst in Württemberg. Erst 250 Jahre später wurde die erste katholische Kirche im heutigen Stadtteil Hofen eingeweiht.

Es treten mehr Mensch aus der Kirche aus, als getauft werden

Auch die Industrialisierung und die Zuwanderung nach Stuttgart im 19. Jahrhundert änderte nichts daran, dass die Bürger überwiegend dem lutherischen Glauben folgten. So zumindest teilt es das Statistische Amt der Stadt Stuttgart mit, das die religiöse Vielfalt in der Landeshauptstadt erforscht hat.

Ihre Höhepunkte an Gemeindemitgliedern erlebten beide Konfessionen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre. In dieser Zeit entstanden im Stuttgarter Raum knapp 50 neue evangelische und katholische Kirchen.

Seither sinken die Anteile derer, die dem christlichen Glauben angehören möchten. Woran liegt das? Ganz nüchtern betrachtet hat die evangelische Kirche in Stuttgart eher ein Demografieproblem als die katholische. Der Durchschnittsprotestant ist 47 Jahre alt, drei Jahre älter als bei den Katholiken. Es sterben im Verhältnis schlicht mehr evangelische Gemeindemitglieder als katholische.

Dazu treten mehr Menschen aus der Kirche aus als getauft werden. Doch die schwindende Begeisterung für die Kirchen erklärt sich nicht allein durch die Demografie; ein weiterer Grund liegt in der lückenhaften Datenerfassung. Einfach zu sagen, dass Religion und Gläubigkeit seit den Sechzigerjahren an Bedeutung verliert oder die Bürger sich von Religionen entfremden, greift zu kurz.

Volkszählung im Jahr 2011

Nur die Mitgliedschaft in einer der sogenannten öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ist im Melderegister verzeichnet. Dazu gehören neben der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche auch orthodoxe und jüdische Gemeinden sowie Freikirchen. Muslime hingegen sind nicht erfasst.

„Sicherlich hat der starke Zuzug in den vergangenen Jahren mit dazu beigetragen, dass sich der Bevölkerungsanteil, der einer anderen oder keiner Religionsgemeinschaft angehört, erhöht hat“, sagt Attina Mäding vom Statistischen Amt. Die Folge: Der Anteil der Protestanten und Katholiken an der Bevölkerung sinkt in den Statistiken, die Zahlen sagen aber nichts über die tatsächliche Religiosität der Menschen aus.

Bei der Volkszählung im Jahr 2011 gaben nur zehn Prozent der Stuttgarter an, keiner Religion oder Glaubensrichtung anzugehören. So ergibt sich ein anderes Bild – ein Bild gläubiger Stuttgarter; nur sind diese nicht mehr ausschließlich evangelisch oder katholisch. Das bestätigen auch die Erkenntnisse aus der Stuttgarter Lebensstilbefragung im Jahr 2008. Diese fragte die Religiosität der Teilnehmer ab.

Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften schätzten sich selbst deutlich religiöser ein als Katholiken oder Protestanten, doch in den Zahlen zur Religionszugehörigkeit tauchen diese Menschen nur unter „andere, keine Religionszugehörigkeit“ auf. Die Stuttgarter sind also den Zahlen nach nicht grundsätzlich weniger religiös als vor 20 Jahren, nur die traditionellen Amtskirchen erleben einen Bedeutungsverlust, auch in Vaihingen und Möhringen.