Die Bahn spricht offiziell von einer „unklaren Ursache“ für den Schaden auf der S-Bahn-Strecke über der Stuttgart-21-Baustelle. Projektgegner hingegen erheben schwere Vorwürfe.

Selbst die härtesten Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 waren sich unsicher, als sie auf das Facebook-Foto mit einem in der Luft hängenden Gleis blickten. Fünf Betonschwellen hatten keinen Kontakt mehr zum Untergrund, unter ihnen gähnte auf der Strecke zwischen Ober- und Untertürkheim auf Höhe der Augsburger Straße 528 ein Loch. „Liebe Leute, ich meine, das ist ein Fake. Wenn das stimmt?!!!“, beteiligte sich ein Gegner an der munteren Debatte. Anderen kam gleich das schwere Unglück bei Rastatt 2017 in den Sinn, wo die Strecke über einer Tunnelbohrmaschine im vereisten Erdreich abgesackt war – mit verheerenden Schäden.

 

Das Foto, das „Der Eisenbahner“ am 15. Juni gepostet hatte, war aber kein Fake, also keine Fälschung. Das bestätigt die Bahn AG.

Zwischen den beiden Vororten verlaufen zwei Fernzug- und zwei S-Bahn-Gleise, die wegen einer Verschwenkung nur mit 70 statt 100 Kilometern pro Stunde befahren werden dürfen. Unmittelbar neben der Strecke gräbt die Bahn für ihr Projekt Stuttgart 21 derzeit zwei Tunnel, in denen künftig mit bis zu 160 Kilometern pro Stunde zum neuen Durchgangsbahnhof gefahren oder von diesem aus auf die bestehende Strecke gelenkt werden kann.

Der Tunnelbau in Untertürkheim kreuzt den oberirdischen Bestand auf Höhe der Hausnummer 528, rund 100 Meter weiter unterqueren die Röhren dann die Bruckwiesenbrücke. Deren Gründung wird von der Bahn AG mit enormem Aufwand abgefangen, um unter der Brücke die von beiden Seiten anstehenden Röhren zu verknüpfen. Das Vorhaben ist ingenieurtechnisch knifflig. Die Mineure kämpfen mit wenig standfester Erde, mit Wasser, sie müssen beim Bau die geringe Überdeckung im Blick behalten. Teils sind es nur wenige Meter zwischen Tunneldecke und Geländeoberkante. Sicherheit geht vor, hier wird erst eine Betonmischung in den Untergrund gedrückt, bevor die Mineure das nächste Stück angehen. 8,19 Meter waren am 13. Juni noch in Fahrtrichtung Hauptbahnhof zu graben, 69,74 Meter nach Obertürkheim.

Schotter in Untertürkheim abgesenkt

Tatsächlich habe sich am Dienstagabend, 14. Juni, im Bereich der Gleise in Untertürkheim der Schotter abgesenkt, was „umgehend bemerkt und behoben“ worden sei, so ein Bahn-Sprecher. Auf der Strecke komme es, vermerkt die App des Verkehrsverbundes Stuttgart (VVS), „wegen Fahrbahnstörung“ und Reparaturarbeiten zu Verspätungen, die bis zum Montag, 20. Juni, andauern sollen. Die Ursache der Absenkung sei „noch unklar“, so der Sprecher, aus Vorsichtsgründen sei derzeit noch eine Langsamfahrstelle eingerichtet, diese habe aber nur geringe Auswirkungen auf den Betrieb. Im Tunnel Obertürkheim gebe es „keine Schäden“.

Zunächst waren die Auswirkungen laut Reisenden erheblich. S-Bahn-Gleise waren gesperrt gewesen, die Schnellbahn fuhr, wohl weil sie auf die Fernzugleise umgeleitet wurde, ohne Halt in Obertürkheim, Untertürkheim und am Neckarpark durch.

Im Bahn-Konzern gibt es Beschäftigte, die die Ursache deutlich zuordnen. Es gebe sehr offensichtlich einen Zusammenhang zwischen frei schwebenden Gleisen und dem Tunnelbau, heißt es. „Langsam reicht’s“, findet der promovierte und bei der Fachgruppe der „Ingenieure 22“ gegen S 21 engagierte Ingenieur Hans-Jörg Jäkel. Er spricht von „fast systemischen Fehlern“. Er hätte die Tunnel nicht so, sondern unter einer Hilfsbrücke erstellt. „Die Bahn hat mit ihrer Baustelle bisher sehr viel Glück gehabt“, sagt Jäkel.