Stuttgart will die Durchsetzung seiner Pläne fürs Rosensteinviertel notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten. Foto: dpa/Uli Deck
Weil sich Stuttgart durch die Ampel-Gesetzgebung in seiner Planungshoheit beschnitten sieht, bereitet das Rathaus eine kommunale Verfassungsbeschwerde vor. Im Gemeinderat zeichnet sich eine Mehrheit ab – und in Berlin versucht man sich in Schadenbegrenzung.
Im Kampf um die Bahnflächen in der Innenstadt will die Stadt zweigleisig fahren. Um die Pläne fürs Rosensteinviertel auf den durch Stuttgart 21 frei werdenden Flächen, die durch eine Änderung eines Bundesgesetzes auf der Kippe stehen, noch zu retten, will sie eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Parallel dazu baut man im Rathaus aber auch auf eine politische Lösung, die den Rechtsweg obsolet machen würde.
Leidenschaftliche Debatte, zahlreiche Zwischenrufe
Ein von der Stadt beauftragtes Rechtsgutachten bescheinigt dem juristischen Vorstoß Erfolgsaussichten. Ob die Stadt diesen Weg beschreitet, entscheidet der Gemeinderat am Donnerstag. Bei einer vorbereitenden Sitzung am Dienstag wurde – begleitet von zahlreichen und lautstarken Unmutsäußerungen der in den Zuhörerreihen sitzenden Stuttgart-21-Gegner – zweierlei offenbar: dass das Milliardenprojekt immer noch leidenschaftliche Debatten am Ratstisch auslöst und dass es trotzdem eine Mehrheit für die juristische Auseinandersetzung geben wird.
Zeit für Beschwerde knapp
Die Zeit läuft. Das machte Ines Aufrecht, im Rathaus für Stuttgart 21 und das Rosensteinviertel zuständig, klar. Die Verfassungsbeschwerde müsse binnen eines Jahres nach der Gesetzesänderung, die damit angegriffen werden soll, erhoben werden. Die Ampel hatte Ende 2023 Paragraf 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) dahingehend geändert, dass die Nachnutzung aufgegebener Bahnflächen nur noch für bestimmte Zwecke möglich ist, wozu der Städtebau nicht gehört. Damit sollte die Schiene gestärkt werden.
Hannes Rockenbauch (Linksfraktion) und Christoph Ozasek (Puls) redeten dem langfristigen Erhalt der oberirdischen Schieneninfrastruktur das Wort und zogen die Realisierbarkeit der Rosensteinpläne in Zweifel. Vertreter von CDU, SPD, Freien Wählern, FDP und AfD hingegen signalisierten ihre Unterstützung für den Klageweg. Die Grünen monierten die kurzen Verfahrenswege und wollten die für Donnerstag vorgesehene Abstimmung vertagen, was die Verwaltung unter Hinweis auf die zu wahrenden Fristen ablehnte. Die Beschwerde muss nicht nur bis Jahresende eingereicht, sondern auch begründet sein.
Erübrigt sich der Gang vor Gericht?
In mehreren Wortmeldungen schwang auch die Hoffnung mit, dass der Gang nach Karlsruhe am Ende gar nicht nötig wird. Das wäre dann der Fall, wenn sich die Gesetzeslage abermals ändern würde. Aus dem Rathaus heißt es, OB Frank Nopper fordere „noch in dieser Legislaturperiode eine Reform von Paragraf 23 Allgemeines Eisenbahngesetz“. Der Rathaus-Chef sieht sich darin auf einer Linie mit dem Bundesrat. Die Länderkammer hatte zuletzt auch eine abermalige Überarbeitung des Gesetzestextes gefordert.
Auf diesen Flächen soll das Rosensteinviertel entstehen. Foto: I/mago/Arnulf Hettrich
Das Bundesverkehrsministerium hat unterdessen einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, wie dem Problem, das nicht nur in Stuttgart, sondern auch in anderen großen deutschen Städten als solches wahrgenommen wird, zu begegnen sei. In der regierungsinternen Abstimmung hing das Papier im Bundeslandwirtschaftsministerium von Cem Özdemir fest. Der Grüne warf dem Verkehrsministerium vor, nicht alle Ampelfraktionen gleichermaßen informiert zu haben. Dem widerspricht Christian Jung, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion in Stuttgart. „Trotz aller dialektischen Beteuerungen von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, dass er immer zu Lösungen bereit gewesen wäre – was nicht stimmt –, ist es in dieser Woche möglich, eine Lösung herbeizuführen.“
Beratungen am Donnerstag in Berlin
Am Donnerstag kommen in Berlin die bahnpolitischen Experten von SPD, Grünen und FDP im Bundesverkehrsministerium zusammen, um den Vorschlag aus dem Haus von Minister Volker Wissing zu diskutieren.
Demo in Stuttgart angekündigt
Am selben Tag soll es dann im Gemeinderat in Stuttgart zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde kommen. Und auch wenn die Mehrheit wahrscheinlich ist, dürfte es nicht ohne nochmalige hitzige Debatte gehen. Für die entsprechende Kulisse will das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sorgen, das für Donnerstag, 16 Uhr, zur Kundgebung vor dem Rathaus aufruft unter dem Motto „Rosensteinbebauung ade! – Kein Sondergesetz S 21!“.