Berlin/Venedig - Kurz vor Beginn des Treffens der G-20-Finanzminister hat sich der deutsche Ressortchef Olaf Scholz (SPD) optimistisch gezeigt, dass sich die Runde wie geplant auf eine globale Reform der Konzernbesteuerung einigen wird. „Es wird jetzt alles ganz schnell gehen“, sagte Scholz. Aus seinem Ministerium verlautete am Donnerstag, es sei davon auszugehen, dass die jüngste Einigung unter dem Dach der Industrieländer-Organisation OECD nun auch von der Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G 20) bestätigt werde. Nach weiteren technischen Arbeiten könne im Herbst ein Fahrplan für die Umsetzung beschlossen werden. Diese soll bis 2023 vonstattengehen.
Die Finanzminister und Notenbankchefs der Gruppe tagen diesen Freitag und Samstag in Venedig. Bei dem Treffen soll es auch um die Konjunktur, die weltweite Verteilung von Corona-Impfstoffen und die Stabilität des Finanzsystems gehen.
Drei EU-Staaten außen vor
In der vergangenen Woche hatten sich 130 Staaten nach langen Verhandlungen auf einen globalen Mindeststeuersatz von 15 Prozent für Konzerne verständigt. Das soll den Unterbietungswettbewerb bei der Firmenbesteuerung stoppen. Zudem sollen die umsatzstärksten und profitabelsten Konzerne nicht nur an ihrem Sitz besteuert werden, sondern auch überall dort, wo sie Umsätze erwirtschaften. Das zielt insbesondere auf Digitalkonzerne wie Facebook, Apple oder Amazon. Inzwischen sind 131 Staaten an Bord, einige aber noch nicht – darunter die EU-Mitglieder Irland, Estland und Ungarn.
Nach Schätzungen des Münchener Ifo-Instituts, das die Folgen der Reform für das Bundesfinanzministerium durchgerechnet hat, kann der deutsche Fiskus auf Mehreinnahmen von 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro im Jahr hoffen.
Hauptgrund dafür ist nicht die Mindeststeuer, sondern das Vorhaben, multinationale Großkonzerne überall zu besteuern, wo sie größere Umsätze erzielen – auch wenn sie dort wenige oder gar keine Mitarbeiter beschäftigen. Gerade das Geschäft von Digitalkonzernen ist weitgehend unabhängig vom physischen Standort. Eine Sondersteuer nur für Online-Riesen war mit den USA aber nicht zu machen.
„Diese Position ist nachvollziehbar, da auch die Geschäftsmodelle traditioneller Unternehmen natürlich zunehmend digital werden. So wird beispielsweise das Auto allmählich zur Datensammelstelle“, sagt Marko Gründig, für Steuerfragen zuständiger Bereichsvorstand bei der Unternehmensberatungsgesellschaft KPMG.
Die Neuverteilung der Besteuerungsrechte betrifft nun alle Branchen außer Finanzdienstleister und Rohstoffindustrie. Auch einige deutsche Konzerne werden künftig also einen größeren Anteil ihrer Steuern im Ausland zahlen.
Nach Einschätzung des Ifo-Experten Florian Neumeier werden es aber weniger als zehn sein. Das liegt daran, dass die Neuregelung nur für Unternehmen mit einem Jahresumsatz über 20 Milliarden Euro und einer Umsatzrendite über zehn Prozent greift. Eindeutig trifft dies auf den Walldorfer Softwarehersteller SAP zu. Je nachdem, wie das zweite Kriterium definiert wird – und über welchen Zeitraum die Rendite ermittelt wird –, könnten auch Daimler, BMW, Siemens, Bayer, Merck, Fresenius, die Telekom und Adidas betroffen sein.
Schlupflöcher bleiben bestehen
Christoph Spengel, Professor für betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Uni Mannheim, befürchtet durch die Reform einen erheblichen Aufwand nicht nur für die betroffenen Unternehmen, sondern auch für den Fiskus. Die erhofften Mehreinnahmen entsprächen „einem Zehntel der Tabaksteuer“ und stünden „in keinem Verhältnis zum Aufwand“.
Was die globale Mindeststeuer betrifft, so zahlen deutsche Unternehmen deutlich mehr, weil zur Körperschaftsteuer von 15 Prozent noch der Solidaritätszuschlag und die Gewerbesteuer hinzukommen. Allerdings verfügen viele Konzerne über Produktionsstätten in Ländern mit niedrigeren Steuersätzen. Daimler betreibt zum Beispiel ein Werk in Ungarn, wo die Unternehmenssteuer nur neun Prozent beträgt. Auch wenn Ungarn bei seinem Widerstand gegen die neue Mindeststeuer von 15 Prozent bleibt, könnte Deutschland nach der Reform die Differenz beim Konzern nachfordern. Ein Daimler-Sprecher erklärte, für eine Bewertung der konkreten Auswirkungen sei es noch zu früh.
Steuerexperte Spengel bezweifelt, dass die Untergrenze viel am Standortwettbewerb in Europa ändert: „Wenn ein Staat wie Irland künftig eine Mindeststeuer von 15 Prozent anwendet, kann er multinationale Unternehmen stattdessen durch gezielte Subventionen beispielsweise für Forschungsprojekte anlocken.“