Von Rathausregenten wird zu Recht Führungskompetenz eingefordert. Doch manchmal wird dank eines Tippfehlers selbst von Fellbachs Wonder Woman zu viel verlangt, meint unser Redakteur Dirk Hermann.

Fellbach - Jeder hat ja so seine dunklen Punkte im Leben, Episoden aus der Vergangenheit, die einem manche Gesprächspartner gar nicht zutrauen würden. In unserem Fall ist es die letztlich wegen einer verspätet erkannten Kurzsichtigkeit zwar nur fünfwöchige, aber intensive Zeit bei der Bundeswehr in den frühen 1980er-Jahren in der Funkerkaserne am Standort Sigmaringen. Lernen durfte man in dem „grüne Ausbildung“ genannten ersten Monat nicht nur Strammstehen, das allmorgendliche „Kompanie aufstehen!“ um 5.15 Uhr, Marschieren in „Knobelbechern“ durch eisige Winde, Gewehrreinigung binnen einer Minute, Toilettengang in freier Wald-Wildbahn oder korrektes Hemdenfalten auf DIN A 4.

 

Dieser Tage nun kamen Erinnerungen hoch an jene Zeit vor dreieinhalb Jahrzehnten, an die anderen Gefreiten in der Siebener-Stube und speziell an sensationell skurrile Nachnamen. Einer beispielsweise hieß „Nyc“ (gesprochen wie Nietzsche ohne e). Noch einprägsamer der Name eines anderen: „Oberüber“.

Unfreiwillige Pointe

Eben dieser Oberüber war jetzt plötzlich wieder präsent, und zwar im Zuge eines aktuellen Aufregerthemas: des dauerdefekten Aufzugs am Fellbacher Bahnhof. Die Verzögerungstaktik der Bahn sei, so wetterte ein erfahrener Lokalpolitiker kürzlich, ein „Affront gegenüber Menschen mit Handicaps oder schweren Koffern“. Seinen Höhepunkt fand der geharnischte Protest gegen das „Monopolunternehmen Bahn“ in einer dringenden Handlungsaufforderung an die Fellbacher Stadtchefin Gabriele Zull.

Der Schlusssatz dieser Pressemittelung fiel allerdings auf durch eine eigenwillige Rechtschreibung, eine unfreiwillige Pointe. Nun ist es zweifelsohne heikel und vor allem gewagt, Leichtsinnsfehler von anderen aufs Korn zu nehmen. Wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich die Finger von kantigen Wurfsteinen lassen. Insbesondere, wenn man – peinlich, peinlich – in seiner journalistischen Vita schon manche Kerbe im Tippfehler-Holz zu verzeichnen hat.

Erst dieser Tage fiel einem ein uralter Aktenordner wieder in die Hände, inklusive eines Artikels in der Fellbacher Zeitung vom April des Jahres 1993. Sensationelle Überschrift: „Ende der Iylle am Kappelberg.“

Kraft der Amazone

Vergessener Konsonant hier, überflüssiger Vokal da, verwechselter Umlaut dort, unsauber platzierte Ellipse mittendrin – natürlich ließe sich alles mit etwas Konzentration vermeiden. Andererseits, vielleicht hat das alles auch etwas Entlarvendes. Ähnlich des Freudschen Versprechers, nur hier eben als rudimentär ausgeprägte Fingerfertigkeit an der Tastatur – und schon sind die wahren Hintergedanken offenbart.

Im aktuellen Fall wäre dies etwa jene Erwartungshaltung bezüglich der Führungskompetenz der wichtigsten Repräsentantin einer Stadt mit ihren 46 000 Einwohnern. Ein Appell, gerichtet an ein Wesen, dynamisch-zupackend, ganz in der Tradition Fellbacher Regenten wie Graser (Max), Palm (Guntram), Kiel (Friedrich-Wilhelm) und Palm (Christoph) – nur eben als Amazone mit List und Durchsetzungsfähigkeit. Eine Hoffnungsträgerin, eine selbstbewusste, mit allen kommunalpolitischen Wassern gewaschene Juristin, mit der Ausstrahlung einer mitreißenden Animateurin, mit dem Appeal einer widerstandsfähigen Jeanne d’Arc, einer furchtlosen Kunoichi, lokalhistorisch einer tatkräftigen Otilia Frech, mit dem Flair einer schlauen Simone de Beauvoir, einer abenteuerlustigen Lara Croft.

Die Überbürgermeisterin

Und all diese abstrusen Assoziationen kommen einem in den Sinn nur aufgrund eines minimalen Wechstabenverbuchslers. Eines simplen Fehlers in einem an Fellbachs Wonder Woman gerichteten Satz. Und der geht so: „Die Fraktion bittet Frau Überbürgermeisterin Zull, dies den Bahnverantwortlichen unmissverständlich klar zu machen.“

Oberüber? Nix da. Ein anderer Begriff übernimmt das Kommando: Überober!