Das 35. Weindorf startete mit Gewitter und "Schuster weg"-Sprechchören. Mit dem Wetter besserte sich auch die Stimmung, meint unser Kolumnist.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgart - Was soll's denn sein, bitte? Rot oder weiß, oben oder unten? Oder doch die Kombilösung, also ein Schillerwein mit den Vorzügen oder Nachteilen beider Farben, was dann rosarot ergibt? Alberne Analogie? Mag sein, aber es vermischt sich so manches in diesen Tagen, und es scheint zu einer unschönen Tradition zu werden, dass die Eröffnung des Weindorfs von S-21-Gegnern und ihrem ach so fantasievollen Protest begleitet wird. "Lügenpack"- und "Schuster weg"-Sprechchöre hört man auf der einen Seite, auf der anderen sieht man Befürworter, die beim Spießrutenlauf durchs Schlosstor demonstrativ ihre echt witzigen Buttons hochhalten. Unterirdisch das alles.

 

Und mittendrin der Verkehrsminister Winfried Hermann, der doch mehr ein Biertrinker ist. Zu einem guten Essen darf es aber ein Merlot oder Schwarzriesling sein. Was sonst ließ sich zwischen Platzregen und Proteststurm über die Trinkgewohnheiten herausbekommen? Die Staatsministerin Silke Krebs bevorzugt einen Shiraz, "oder sollte ich besser grauer Burgunder sagen?" Vielleicht, denn wir sind hier nicht auf dem Lieblingsfest der Freiburgerin, sondern auf dem "schönsten Weindorf Deutschlands". Da trinkt man einen Lemberger oder Riesling, wie der Innenminister Reinhold Gall, der seine Stimme gegen die Sprechchöre erhob: "Spätestens mit dem Ende dieser Veranstaltung wird's dann auch gemütlich werden."

Hitziges Wetter und Debatten auf dem Weindorf

Hitzig ist es vorerst dennoch geblieben, weswegen alle Befragten auch eine kühle Sorte nannten. Stefanie Schuster zum Beispiel eine Schillerschorle. Ein Rundgang übers Weindorf in den ersten Tagen zeigt, dass in den pickepackevollen Lauben kaum Rote auf den Tischen stehen, sondern viele Weiße, Rosés und dieser Aperol Spritz. So ein Rundgang dürfte Konzertveranstalter Michael Russ derzeit kaum möglich sein, denn er quälte sich auf Krücken zur Eröffnung: gerissene Achillessehne - nach mehr als 700 Spielen bei den Promikickern.

Tags drauf standen sich die Leute bei der "SWR4 Weindorfparty" die Beine in den Bauch. Auch die ging im Innenhof des Alten Schlosses über die Bühne - und eigentlich nur dort, denn wer will sich bei 30Grad plus schon groß bewegen? Und "durch den Abend führt SWR4-Moderator Michael Branik" - das war eher so, dass er eine Ansage machte, den Rest hatten Papi's Pumpels zu erledigen. Saublöder Name, den man zur Strafe Pömpels aussprechen sollte. Gut besucht war dieser "Abend", der bis 19 Uhr ging, aber schon, denn Schlager kommen bei vielen gut an. Noch gemütlicher als Michael Branik hatte es der "SWR1 Leute"-Mann Wolfgang Heim, der mit Hans-Peter Grandl in der Zaißerei hockte. Natürlich nicht beim Bier, denn auch so ein Hofbräuzeltfestwirt weiß einen knackigen Riesling zu schätzen.

Wir schreiben das 35. Weindorf - und es ist das erste ohne Dieter Zaiß. Im November vergangenen Jahres ist das Original ganz plötzlich zur Legende geworden. "Er fehlt", sagt sein Bruder Siegfried Zaiß, "aber das Leben muss weitergehen", sagt seine Tochter Iris Zaiß. Rechtzeitig hatte der singende Weinvogt die Nachfolge geregelt. Chef am Hang und im Keller ist der Sohn Andreas Zaiß, und dann gibt es auch noch die Witwe Margret und deren Schwägerin Elfriede Zaiß sowie die Lebensgefährten der Kinder, die sich allesamt ums Geschäft kümmern. 80 Prozent des Ertrags aus den dreieinhalb Hektar Rebfläche fließen in den eigenen Ausschank auf Weindorf und Wasen, in Weinstube und Kelter. Auf der berühmten Steillage Cannstatter Zuckerle stehen Trollinger und Riesling, rot und weiß in friedlicher Nachbarschaft.