Lang Jahre stieg allerorten die Zahl der neuen Spielotheken und Wettbüros. Doch nun, so scheint es, ist erstmals ein Mittel gegen die Entwicklung gefunden. Das Landesglücksspiel zeigt erste Erfolge, und auch die Landeshauptstadt arbeitet mit einer neuen Vergnügungstättensatzungen an einem Hebel gegen die Glücksspielbranche gefunden.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Viele Jahre lang kannte die Entwicklung bei Spielhallen und Wettbüros in Stuttgart nur eine Richtung: steil nach oben. Erstmals scheint dieser Trend nun aber gebrochen zu sein. Ein Grund dafür ist das Glücksspielgesetz des Landes. Und die Stadtverwaltung ist dabei, mit einer neuen Vergnügungsstättensatzung der Branche weitere Grenzen zu setzen.

 

Glücksspiel und Sportwetten gehören zu den Dauerthemen der Kommunalpolitik. Warum, zeigen einige Zahlen. 1999 gab es in Stuttgart 13 Spielhallen. Diese Zahl stieg Jahr für Jahr, insbesondere nach 2006, und sie erreichte 2012 mit 132 Spielotheken einen vorläufigen Höchstwert (dazu die Grafik). Auch die Zahl der Wettbüros nahm rasant zu, vor wenigen Jahren schätzte man deren Zahl auf 40 bis 70.

Für die Stadtteilzentren „eine Katastrophe“

Die Folgen für die Stuttgarter City und vor allem für die Stadtteilzentren werden seit Jahren diskutiert. „Die Auswirkungen auf das Wohnen, auf die Zentren und die Gewerbegebiete sind sehr negativ“, sagt Hermann-Lambert Oediger, Chef der Abteilung Stadtentwicklung im Planungsamt. „Bei zugeklebten Scheiben hat keiner Lust, an den Schaufenstern weiterzugehen.“ Für die Stadtteile sei dies „eine Katastrophe“.

Obwohl man Satzungen gegen die Ausbreitung von Spielhallen erließ, blieben die vom Rat beschlossenen Maßnahmen lange ohne größeren Effekt. Insbesondere nach 2006, als der Bund die bis dahin geltende Spielverordnung lockerte, stieg die Zahl der Spielotheken nochmals deutlich an. Die Rechtslage bei den Wettbüros war durch Urteile auf EU-Ebene ohnehin unsicher. Wenn die Stadt mal eine Handhabe sah gegen einen Betreiber, wehrte dieser sich mit Erfolg juristisch gegen eine Schließung.

Insgesamt gibt es etwa 2600 Spielautomaten

Nun sieht es erstmals so aus, als ob gegen diese Entwicklung doch ein Kraut gewachsen wäre. Die Zahl der Spielhallen ist auf 123 leicht gesunken. In diesen stehen etwa 1200 Geldspielgeräte, dazu etwa 1400 weitere in Gaststätten, sagt Martin Treutler, der Leiter der Gewerbe- und Gaststättenbehörde. Die Zahl der Wettbüros liege bei etwa 35. Dabei will Treutler nicht ausschließen, „dass es noch fünf bis zehn Wettbüros mehr gibt, die wir nicht kennen“.

Die Rückgänge haben mehrere Gründe. Zum einen hat das Landesglücksspielgesetz vom Herbst 2012 einen engeren Rahmen für die Zulassung von Spielhallen geschaffen. So müssen diese nun bei Neuzulassungen einen Abstand von 500 Metern zueinander einhalten, auch zu Schulen sowie zu Kinder- und Jugendeinrichtungen. „500 Meter sind einiges“, sagt Oediger vom Planungsamt. „Auch deshalb hat der Druck bei Spielhallen abgenommen“. Weg ist dieser aber nicht. 15 bis 20 Anträge für Spielhallen oder Wettbüros sind auch in den vergangenen Jahren noch bei der Stadtverwaltung eingegangen.

Mitte 2017 läuft die Schonfrist ab

Interessant wird sein, wie es bei den Spielhallen Mitte 2017 weitergeht. Dann läuft nach dem Landesglücksspielgesetz die Übergangsfrist für Bestandsbetriebe aus, die den Vorgaben nicht entsprechen. „Fast jeder Betrieb hat schon einen Antrag auf Verlängerung gestellt“, sagt Treutler von der Gewerbe- und Gaststättenbehörde.

Das Gesetz sieht auch eine Härtefallregelung vor. Dennoch setzt Treutler darauf, dass sich die Zahl der Spielhallen in absehbarer Zeit „deutlich verringern wird“ – auch wenn ein Großteil wohl weiter besteht. So glaubt er, dass viele Mehrfachspielhallen, die in einem Gebäude direkt nebeneinander platziert wurden, um die Begrenzung der Automatenzahl zu umgehen, bald Vergangenheit sind.

Bei der Entwicklung der Wettbüros spielt vermutlich auch eine Rolle, dass dort der Trend „in Richtung Online-Wetten, und damit von zuhause aus, geht“, sagt Treutler. Aber auch die Stadt hat ihren Beitrag dazu geleistet, dass Anträge auf die Einrichtung von Wettbüros keine guten Gewinnchancen mehr haben. Ebenfalls Ende 2012 hat der Gemeinderat die Aufstellung von neuen Vergnügungsstättensatzungen in allen Stadtbezirken beschlossen. Das Konzept sieht vor, dass solche Betriebe künftig nicht mehr im Erdgeschoss von Gebäuden sein dürfen und dass sie untereinander einen Abstand von 80 bis 125 Meter einhalten müssen.

Vergnügungsstätten nur noch in sechs Bereichen

Und Spielbetriebe – ebenso wie Rotlichtetablissements – werden auf „sechs Zulässigkeitsbereiche“ in der Stadt eingeschränkt, sagt Oediger vom Planungsamt. Die da wären: City, Bad Cannstatt, Vaihingen, Feuerbach, Zuffenhausen und Weilimdorf. „Und auch dort nur in Teilbereichen der Zentren“, fügt der Chef der Abteilung Stadtentwicklung hinzu. „Wir wollen in die Mitte rein, aber nur sehr dosiert.“ Die anderen Bezirke blieben außen vor. Oediger ist überzeugt, dass schon der Ausschluss des Erdgeschosses als Fläche für einige Interessenten „das K.O-Argument ist“.

Bis jetzt sind nur die Satzungen für West, Ost, Süd sowie Untertürkheim abgeschlossen. In einigen Bezirken sind diese in der Auslegungsphase, so in Stuttgart-Mitte, wo die Satzung Ende des Jahres fertig sein soll. „Wir haben etwa Halbzeit“, sagt der Chef der Stadtentwicklung über die zeitaufwendigen Verfahren. Ein paar Jahre wird es noch dauern, bis alle Satzungen rechtskräftig sind.

Wirkung entfalten sie aber schon. Sobald der Rat den Aufstellungsbeschluss für eine künftige Satzung gefasst hatte, begann die Interimszeit, während der den geplanten Grundsätzen „zuwider laufende Vorhaben befristet zurückgestellt werden können“, erklärt Oediger. Also seit Ende 2012. Läuft eine Frist ab, kann der Rat für Teilbereiche des Planungsgebiets eine Veränderungssperre erlassen.