Glücksspiele Übergangslösung für Online-Casinos in Sicht

Die abgelaufenen Lizenzen von privaten Wettanbietern aus Schleswig-Holstein werden wohl verlängert. Zwei Studenten haben aufgrund der Gesetzeslücke im Glücksspielstaatsvertrag ein Geschäft gemacht.
Wernau/Stuttgart - Die Menschen, die sich an Julian Cee wenden, haben viel Geld im Internet verzockt. Bei den meisten summieren sich die Verluste auf mehr als 10 000 Euro, einige haben an Online-Casinos oder Sportwettenanbieter gar einen sechsstelligen Betrag verloren. Dabei sind Online-Glücksspiele – einige wenige ausgenommen – laut Paragraf 4 des Glücksspielstaatsvertrags in Deutschland verboten. Private Sportwettenanbieter, die ihren Sitz oft in Steuerparadiesen wie Gibraltar haben, agieren in einer Grauzone; sie sind bislang nur geduldet.
Die Rechtslage hat Julian Cee genutzt und ein neues Geschäftsmodell etabliert. „Viele dieser Leute können sich keinen Anwalt mehr leisten“, sagt Ruben Aichinger, Pressesprecher der Onlineplattform wirholendeingeld.de. Auf der Internetplattform können notorische Spieler ihren Fall einreichen, mit anwaltlicher Hilfe versucht das Unternehmen aus Wernau im Kreis Esslingen dann das Geld zurück zu bekommen. Der Service ist kostenlos, erst im Erfolgsfall nimmt Cee, 35 Prozent Provision. Die Erfolgschancen seien relativ gut, über Bezahldienstleister wie Klarna oder Paypal sein Geld zurückzubekommen – oft muss der Rechtsweg gar nicht beschritten werden. Die Zahlungsdienstleister würden es häufig nicht auf eine Gerichtsverhandlung ankommen lassen, mutmaßt Aichinger. Er schätzt die Erfolgsquote auf bis zu 75 Prozent. Allerdings lohne sich ein Versuch, Geld zurückzufordern, erst ab einer verspielten Summe von 1000 Euro.
1,76 Milliarden Euro bei illegalen Online-Casinos verzockt
Im Jahr 2017 haben Spieler in Deutschland laut den Glücksspielaufsichtsbehörden der Bundesländer 1,76 Milliarden Euro an illegale Online-Casinos verloren. Mit einer Zunahme von 36 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ist das Segment am stärksten gewachsen. Die Bruttospielerträge, also die Differenz zwischen Spieleinsätzen und -gewinnen, schätzen die Länder im unerlaubten Markt insgesamt auf 3,18 Milliarden Euro in Deutschland.
Die Zahlen der Suchthilfestatistik belegen, dass der Onlinemarkt immer wichtiger wird. In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Zahl der Hilfesuchenden im Bereich „pathologisches Glücksspiel“ nahezu verdreifacht. Onlinespieler seien im Vergleich zu den Automatenspielern zwar noch in der Minderheit, aber es sei zu befürchten, dass sich der Bereich „in den nächsten Jahren noch entwickeln wird“. Martin Epperlein, der bei der evangelischen Gesellschaft (Eva) in Stuttgart Betroffene berät, hat die Erfahrung gemacht, dass mehr gespielt wird, weil es über das Handy immer und überall möglich ist.
Das einzudämmen, ist Aufgabe der Länder, die seit Jahren um eine Einigung ringen. Eine einheitliche Linie verfolgen die Landesregierungen allerdings nicht. 2011 erließ die schwarz-gelbe Regierung von Schleswig-Holstein ein eigenes Glücksspielgesetz und erteilte mehreren privaten Online-Casinos und Sportwettenanbietern Lizenzen. Die letzten sind Anfang des Monats nach sechs Jahren ausgelaufen. Nun bahnt sich zumindest eine Übergangslösung an. Beim Treffen der Chefs der Staatskanzleien in der letzten Februarwoche wurde als vorläufiges Ergebnis festgehalten, dass die 23 Lizenzen für Online-Casinos auf Grundlage des alten Landesrechts von Schleswig-Holstein bis zum 30. Juni 2021 verlängert werden dürfen. Dann endet der Glücksspielstaatsvertrag.
Glücksspielmarkt nach Sektoren
Diesem Vorschlag müssen die Ministerpräsidenten bei ihrem Treffen am 21. März aber noch zustimmen. Das nördlichste Bundesland argumentiert, dass es mit der Liberalisierung des Onlinesektors mehr Kontrolle gebe, als in einem völlig unregulierten Markt, wie er in den anderen Bundesländern vorzufinden sei. „Wir können mit unserem System Transaktionen von Unternehmen, Spielerinnen und Spielern überwachen und bei Bedarf eingreifen“, sagt Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei in Kiel. Die in Schleswig-Holstein zugelassenen Anbieter mussten über einen so genannten „Safe-Server“ der Glücksspielbehörde Informationen zu Spiel- und Wettabläufen, Zahlungen, Kontoständen und Spielern zur Verfügung stellen.
Aus dem Staatsministerium in Stuttgart heißt es zu den Verhandlungen: „Baden-Württemberg unterstützt den Ansatz einer kontrollierten Öffnung des Online-Casinobereichs zur Kanalisierung des Angebots bei strenger Überwachung der Vorschriften zum Jugend- und Spielerschutz.“ Generell müsse man den Glücksspielmarkt gesondert nach Sektoren betrachten. Die „konsequente Regulierung“ könne „vom Totalverbot bis hin zur Einführung eines Erlaubnismodells ohne quantitative Begrenzung der Anbieter reichen“, hieß es weiter. Allerdings ist es gar nicht so einfach, die Sektoren gesondert zu betrachten.
Über die Apps von Sportwettenanbietern kann man häufig auch Casinospiele wie Poker, Roulette oder Automatenspiele spielen. Viele dieser Anbieter sitzen im Ausland. In Malta oder Gibraltar sind die Gesetze für das Glücksspiel wesentlich liberaler. Da ihnen schwer beizukommen sei und sich das auch nicht so schnelle ändern werde, liege es nahe, den Sportwettenmarkt künftig nicht zu begrenzen, teilt das baden-württembergische Staatsministerium mit. Das Land weicht damit von seiner jahrelang vertretenen strikten Linie ab: Illegalen Anbietern – ob online oder stationär – einen Riegel vorzuschieben, das war das Ziel der Bundesländer bisher; einzig Schleswig-Holstein verfolgte einen Sonderweg.
1500 Anfragen von Spielern
Auch wenn Julian Cee von der unklaren Rechtslage profitiert, würde er eindeutige Regeln beim Onlineglücksspiel befürworten. Der größte Bereich auf seiner Webseite befasst sich mit Suchtprävention. „Mir war von Anfang an klar, dass das Modell zeitlich begrenzt ist“, sagt Cee. Vorerst muss er sich aber keine Sorgen machen um sein Geschäftsmodell. Auf seinem Tisch liegen über 1500 Anfragen von Spielern, die mit seiner Hilfe Geld zurückfordern wollen.
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