Glutenfreie Lebensmittel boomen, viele Menschen verzichten aus Sorge vor möglichen Gesundheitsfolgen. Doch nun warnen Experten: Eine Diät ohne medizinisch nachgewiesene Zöliakie kann gesundheitsschädlich sein.

Stuttgart - Das Angebot an glutenfreien Produkten in den Supermärkten hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. „Frei von“ nennen sich gluten- und laktosefreie Produkte. Und die Nachfrage ist enorm, ebenso wie der Umsatz für solche Lebensmittel. Dahinter steckt aber nicht immer eine diagnostizierte Glutenunverträglichkeit – sondern oft eher eine diffuse Angst vor gesundheitlichen Problemen. Von Gluten-Sensitivität oder einer Überempfindlichkeit wird dann mitunter gesprochen. Doch Experten zweifeln: „Nach heutigem Stand kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob eine Nicht-Zöliakie-Überempfindlichkeit tatsächlich existiert“, heißt es nun in einem Positionspapier von der Deutschen Gesellschaft für Allerlogie und klinische Immunologie (DGAKI). Die wichgtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

 

Was ist Gluten überhaupt – und worin ist es enthalten?

Gluten ist das sogenannte Klebereiweiß in Weizen und vielen anderen Getreidearten: Es sorgt dafür, dass das Mehl bei seiner Verarbeitung zu einem klebrigen Teig wird. Gluten ist nicht nur in Weizen enthalten, sondern auch in Dinkel, Roggen, Gerste, Grünkern und Hafer – und in allen Produkten, die aus diesen Getreidearten hergestellt werden. Selbst in Zahnpasta, Suppen oder Wurstware steckt mitunter Gluten. Mais, Hirse, Reis oder Kartoffeln sowie Pseudo-Getreidearten wie Quinoa und Buchweizen sind dagegen frei davon. Glutenfreie Produkte basieren daher zum Beispiel auf Maismehl oder Soja – und haben ihren Preis.

Wann spricht man von Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit?

Tatsächlich gibt es eine Allergie gegenüber Gluten, nämlich Zöliakie. Zöliakie ist eine chronische Darmerkrankung, die auf einer lebenslangen Gluten-Unverträglichkeit beruht. Sie ist selten und erfordert strikten Glutenverzicht, weil das Klebereiweiß zu Entzündungen der Dünndarmschleimhaut führt – und so auch die Nährstoffaufnahme beeinträchtigt. Typische Symptome sind Blähungen, Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall. Ähnliche Wirkungen hat mitunter auch die Weizenallergie, die aber auch Atemwegsbeschwerden – bei Kindern – oder schwere allergische Reaktionen auslösen kann.

Was hat es mit der Gluten-Sensitivität auf sich?

Die Diagnose einer Gluten-Überempfindlichkeit werde häufig leichtfertig als Selbstdiagnose gestellt, heißt es von der Deutschen Gesellschaft für Allerlogie und klinische Immunologie. Das Problem: Die Erwartungshaltung gegenüber Gluten und damit auch der subjektiv empfundene Effekt sei inzwischen häufig so negativ, dass auftretende Beschwerden gar nicht auf andere mögliche Ursachen zurückgeführt würden – beispielsweise andere Lebensmittelunverträglichkeiten oder Reizdarmsyndrom. Bislang fehlen eindeutige Kriterien für eine Diagnose. Nach Stand der Forschung, so die Experten, sei nicht geklärt, ob es Nicht-Zöliakie-Gluten-Überempfindlichkeit überhaupt gebe.

Ist glutenfreie Ernährung also schlecht?

„Eine glutenfreie Diät, ohne dass eine nachgewiesene Zöliakie besteht, kann schädlich sein“ sagt Allergologe Jörg Kleine-Tebbe. Denn: Bei einem unbegründeten Glutenverzicht berge eine solche Diät eher Risiken und Nachteile. „Glutenfreie Kost kann zu Nährstoffmangel führen, womöglich auch zu Schwermetallbelastungen, Enddarmerkrankungen oder Fettstoffwechselstörungen“ sagt Kleine-Tebbe. Auch eine eingeschränkte Lebensqualität und die deutlich höheren Kosten der Produkte sprechen nach Ansicht der Allergologen von der DGAKI gegen einen freiwilligen Verzicht auf Gluten ohne medizinischen Grund. Mitunter bestehe sogar die Gefahr von Esstörungen, etwa dem Zwang, sich gesund zu ernähren.

„Wir raten dringend davon ab, vorschnell auf eine glutenfreie Ernährung umzustellen“, warnt Kleine-Tebbe – sofern sie eben nicht medizinisch begründet sei. Letztlich werde durch einen unbegründeten Verzicht nämlich auch die Diagnose einer Zöliakie erschwert: Allein die Umstellung in der Ernährung könne zu positiven Effekten beispielsweise auf die Verdauung führen, sagen Ernährungsberater. Zum Beispiel, wenn jemand verstärkt zu Gemüse und unverarbeiteten Lebensmitteln greift. Das mache es dann aber umso schwerer, die eigentliche Ursache für die subjektiv empfundenen Beschwerden zu finden.