Einige Stadträte kritisieren einen Träger, der soziale Einrichtungen der katholischen Kirche übernommen hat, weil er das Jungendwohnheim St. Georg schließen will. Dort kommen Schüler aus dem ganzen Land während ihres Blockunterrichts in Göppingen unter.

Göppingen - Retter in der Not oder Heuschrecke? Die Sicht der Göppinger Stadträte auf die gemeinnützige Vinzenz von Paul Gesellschaft könnte unterschiedlicher kaum sein. Die einen befürchten, dass der Träger sozialer Dienste mit Sitz in Schwäbisch Gmünd in Göppingen den sozialen Auftrag der Kirche vernachlässigt, die anderen sind froh, dass die Gesellschaft die sozialen Einrichtungen der katholischen Stiftung St. Stephanus seit etwas mehr als einem Jahr betreibt. Roy Hummel, der Leiter der Regionaldirektion von Vinzenz von Paul, wehrt sich vehement gegen den Verdacht, die Gesellschaft interessiere sich nur für gewinnbringende Aufgaben.

 

Entzündet hat sich die Debatte an der Ankündigung von Vinzenz von Paul, das Jugendwohnheim St. Georg zum 31. Juli 2017 zu schließen. Seit Jahrzehnten kommen dort Auszubildende aus dem ganzen Land unter, die zum Blockunterricht an die Berufsschulen nach Göppingen gehen, angehende Gärtner und Floristen etwa. Doch die Belegungszahlen sinken seit Jahren, zudem muss das Gebäude saniert werden. Hummel zufolge verzeichnete man im Georgsheim vor sieben Jahren noch 16 520 Belegtage, für dieses Jahr rechne man nur noch mit 10 500 Belegtagen. Das Defizit für dieses Jahr betrage voraussichtlich 30 000 Euro.

Kritik: Gesellschaft pickt sich die Rosinen heraus

„Wir sehen einfach kein Licht am Ende des Tunnels“, sagt Hummel. Offensichtlich pendelten viele Schüler heutzutage oder würden für die Dauer des Blockunterrichts anderweitig unterkommen. Die Gesellschaft könne es sich deshalb nicht mehr leisten, das Heim weiter zu betreiben. Zumal die Pacht mutmaßlich steige, wenn der Eigentümer – die katholische Gesamtkirchengemeinde – das Gebäude saniere. Man sehe keine andere Möglichkeit, als den Betrieb aufzugeben, veranstalte aber dennoch demnächst einen runden Tisch mit allen Beteiligten, um nach Lösungen zu suchen.

Viele Stadträte sind mit dem Vorgehen der Gesellschaft nicht einverstanden. Die Stadt ist im Georgsheim zwar nicht involviert, doch die Räte befürchten, das Heim könne ein Beispiel für die grundsätzliche Ausrichtung von Vinzenz von Paul sein. So kritisierte der CDU-Fraktionschef Felix Gerber im Sozialausschuss des Gemeinderats, die Gesellschaft habe die Stiftung St. Stephanus beerbt und picke sich nun offenbar die Rosinen heraus. Deshalb könne es nicht sein, dass die Stadt ihrerseits die Gesellschaft mit finanziellen Zuschüssen unterstütze.

Grüne erinnern an „sozialen Auftrag“ der Kirche

In dem Ausschuss war es eigentlich nur um eine Kleinigkeit gegangen: einen Zuschuss von 20 000 Euro für die Arbeit des Heilpädagogischen Fachdiensts im vergangenen Jahr. Dieser berät Erzieher und Eltern schwieriger Kinder und wird ebenfalls von Vinzenz von Paul getragen. Er gilt in der Stadt als Erfolgsmodell.

Hilde Huber (SPD) schloss sich Gerbers Kritik an dem „wirtschaftlichen Vorgehen“ der Gesellschaft an. Der Fraktionschef der Grünen, Christoph Weber, sagte, es gehe schließlich nicht nur um Wirtschaftlichkeit, sondern auch um den sozialen Auftrag der Kirche und Christian Stähle (Lipi) meinte, man müsse alle Heuschrecken stoppen – „auch pseudochristliche“.

Gesellschaft will in andere Einrichtungen in der Stadt investieren

Annemarie Schewe (FWG) hingegen kritisierte die „unzulässige Vermischung“ von Themen. Man müsse froh sein, dass die Gesellschaft die bankrotte Stiftung beerbt habe. Sie selbst würde so ein Erbe ausschlagen. Das Gremium dachte dennoch darüber nach, für die Zukunft einen anderen Träger für den Heilpädagogischen Fachdienst zu suchen. Das Thema kommt am 12. Mai im Gemeinderat erneut auf den Tisch.

Roy Hummel zeigte sich am Freitag „sehr erstaunt“ über die Debatte. Den Kritikern hält er entgegen, dass sich die Gesellschaft mitnichten die Rosinen herauspicke. Sie investiere bis zum Jahr 2020 insgesamt 20 Millionen Euro in Göppingen. Ein Großteil fließe in den Umbau des Altenzentrums St. Martinus, das den Anforderungen des Gesetzgebers nicht mehr entspreche, weil es vor allem Doppelzimmer habe. Rund vier Millionen Euro sollen laut Hummel in die Jugendhilfe im Rupert-Mayer-Heim fließen. Der Unterschied zum Georgsheim sei, sagt Hummel, „dass wir bei diesen Einrichtungen davon ausgehen, dass sich die Investitionen amortisieren.“

Genau dieser Gedanke ist der Stiftung St. Stephanus und ihrem umstrittenen früheren Leiter Georg Kolb fremd gewesen. In den vergangenen Jahrzehnten finanzierte die katholische Kirchenpflege die Einrichtungen der Stiftung St. Stephanus häufig quer. Auf diese Weise wurden auch defizitäre Einrichtungen jahrelang gehalten. Doch das führte am Ende auch dazu, dass die Buchhaltung der Stiftung nicht mehr den Vorgaben entsprach. Wie groß das Defizit der Stiftung tatsächlich war, ist seit Jahren heftig umstritten.