Für den SPD-Mann Jürgen Lämmle brechen seine letzten Tage als Regionalrat an. Er hat nicht mehr kandidiert, um Jüngeren Platz zu machen. Kalt lässt ihn die Politik deswegen freilich nicht, vor allem der erstarkende Rechtspopulismus macht ihm Sorgen.

Göppingen - Vor dem endgültigen Abschied von der politischen Bühne ist Jürgen Lämmle, dem frühere Sozial- und Kulturbürgermeister von Göppingen, nicht bang. Zu Hause warten ein Stapel Bücher, sorgsam aufgetürmt, jedes einzelne Exemplar wärmstens empfohlen von seiner Frau, und ein großer Garten. Mit 67 Jahren habe er nicht noch einmal für das Regionalparlament kandidieren wollen, sagt Lämmle. Jetzt müssten Jüngere ran. Sagt’s – und redet dann doch über Politik.

 

Wie könnte er auch anders. Die von Krisen geschüttelte Weltlage treibt Jürgen Lämmle um. Als politisch denkender Mensch setzt er, trotz allem, auf die Politik und deren Akteure. Besonders im Blick hat er die Partei, deren Parteibuch er seit knapp einem halben Jahrhundert hat und unter deren Dach er Karriere gemacht hat: die SPD. Er arbeitete unter Frieder Birzele im baden-württembergischen Innenministerium, war von 1998 an Sozial- und Kulturbürgermeister in Göppingen und wechselte 2011 als Ministerialdirektor ins Sozialministerium, wo er als Amtschef und stellvertretender Sozialminister fungierte.

Das Aufhören fällt ihm nicht schwer

Auch ehrenamtlich engagierte er sich in politischen Gremien. Er war Kreisrat und von 2016 bis 2018 Vorsitzender des Göppinger SPD-Ortsvereins. Nun gibt er sein letztes politisches Amt ab: Mit Beginn der neuen Legislaturperiode scheidet Lämmle aus der Regionalversammlung aus, wo er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion war und lange dem Verkehrsausschuss angehörte. Ganz bewusst hat er sich gegen eine erneute Kandidatur entschieden, um Jüngeren Platz zu machen. „Nach Ablauf einer weiteren Wahlperiode wäre ich 72 Jahre alt gewesen. Das wollte ich nicht.“

Die Politik beschäftigt ihn trotzdem, vor allem der Zustand der SPD. Wenn die Talfahrt der Sozialdemokraten zur Sprache kommt, hebt Jürgen Lämmle, sonst eher ein Mann der leisen Töne, schon einmal die Stimme und wird grundsätzlich. Es sei ungerecht, wie schlecht die Partei bei den vergangenen Wahlen abgeschnitten habe, sagt er. „Die in Berlin machen alle einen hervorragenden Job.“ Mindestlohn, Mindestausbildungsvergütung, Rente: Das alles seien ureigene sozialdemokratische Themen. Und er ist davon überzeugt, dass es die Sozialdemokratie braucht, um Deutschland voranzubringen. Die Partei stehe für Fortschritt und soziale Gerechtigkeit – Qualitäten, die ihn einst dazu bewogen, Mitglied der SPD zu werden. 21 Jahre alt war er damals, und die meisten seiner Generation hätten gedacht wie er.

Trotz allem Optimist geblieben

Umso mehr traf ihn die Entwicklung der vergangenen Jahre, die geprägt war durch einen erstarkenden Rechtspopulismus mit schrillen rassistischen Tönen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. „Das hätte ich nicht für möglich gehalten, da läuft es einem kalt den Rücken hinunter“, sagt Lämmle. Es sei Aufgabe der nächsten Politikergeneration, diesen Tendenzen entgegenzutreten.

Für aussichtslos hält der 67-Jährige die Lage aber nicht, dazu ist er zu sehr Optimist. Zudem habe die Politik schon vieles bewältigt, etwa die Aussöhnung mit dem Osten unter der Kanzlerschaft von Willy Brandt. Und auch in seinen jungen Jahren habe es brenzlige und unüberschaubare Entwicklungen gegeben, wie die Stationierung von Mittelstreckenraketen infolge des Nato-Doppelbeschlusses. „Da saßen wir wirklich auf einem Pulverfass.“

Was er jungen Politikern auf den Weg geben will? Jürgen Lämmle zögert nicht mit einer Antwort. Die Politik müsse auf allen Ebenen redlich sein und dürfe nicht zu große Erwartungen wecken. Es sei auch nicht ratsam, auf die große Schlagzeile zu schielen und auf jedes Thema aufzuspringen und dann nichts zu machen. Man müsse tun, was man sage.

Endlich Zeit zum Lesen

Sein berufliches und politisches Handeln hat Jürgen Lämmle am „Mehrwert für den Menschen“ gemessen. Deshalb freut sich der Wahl-Göppinger, der in Rudersberg (Rems-Murr-Kreis) aufgewachsen ist, auch darüber, wenn er durch die Stadt geht und sieht, welche Spuren er als Sozial- und Kulturbürgermeister hinterlassen hat. Als Beispiele nennt er Kindergärten und den Umbau der Kunsthalle. Die Regionalversammlung habe ebenfalls einen erkennbarer Mehrwert geschaffen: den Anschluss des Kreises Göppingen an den Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS). Auch wenn vorläufig keine S-Bahn bis Göppingen fahre, werde das den Landkreis „richtig nach vorne bringen“.

Trotz dieser Erfolge fällt es Lämmle nicht schwer, sein letztes politisches Mandat loszulassen. „Ich genieße die neuen Freiheiten kolossal“, sagt er. Er will künftig morgens zwei Zeitungen lesen und alles ruhiger angehen lassen. Außerdem will er mehr Bücher lesen. Welches er als erstes aus dem großen Stapel zieht, weiß er noch nicht. „Vielleicht die Biografie über Alexander Humboldt“, sagt der erklärte Naturliebhaber und fügt grinsend hinzu: „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht so genau, was meine Frau mir da alles hingelegt hat.“ Im Übrigen bleibe er der Politik doch erhalten, ein bisschen wenigstens. „Ich bin ja noch im Vorstand des Göppinger SPD-Ortsvereins. Als Beisitzer.“