Als sie mit 16 zum ersten Mal an einer Kirchenorgel herumdrückte und die gewaltigen Bässe vernahm, war es um Verena Zahn geschehen. Heute erreicht die Organistin ein wachsendes Publikum, denn ihr Instrument feiert eine Renaissance.

Göppingen - Mit dieser Resonanz hätte Klaus Rothaupt nie im Leben gerechnet: Als der evangelische Kirchenmusikdirektor und Göppinger Bezirkskantor vor einem Jahr zum ersten Mal den Göppinger Orgelsommer mit drei renommierten Organisten an drei Abenden in der Stadtkirche veranstaltete, waren die Kirchenbänke voll. „Die Kirchenorgel“, sagt der Musiker, „war lange Zeit nicht sehr gefragt. Aber jetzt scheinen die Menschen sie wiederentdeckt zu haben.“

 

Verena Zahn aus Birenbach hat ihr Herz schon vor 25 Jahren an die Königin der Instrumente verloren, da war sie gerade mal 16 Jahre alt. Der Pfarrer im Nachbarort hatte verkündet, dass es an Organisten mangle, und so bekam die junge Klavierschülerin die Chance, sich einmal an die Kirchenorgel zu setzen und ein bisschen herumzuprobieren. Die gewaltigen Bässe und das Pedalspiel, das der Orgelspieler zusätzlich zum Spiel mit den Händen beherrschen muss, faszinierten Verena Zahn sofort. Die 16-Jährige begann, Unterricht bei Klaus Rothaupt zu nehmen, der schon damals für die Ausbildung der jungen Organisten im Kreis zuständig war.

Violine mit der „kleinen Nachtmusik“ gequält

Die heute 40-Jährige hatte im Lauf der Zeit viele, mal kurze, mal längere Flirts. Sie spielte sechs Jahre lang Cello und fünf Jahre lang Trompete im örtlichen Musikverein. „Darüber hinaus habe ich eine Zeit lang alle möglichen Instrumente ausprobiert. Zum Beispiel habe ich mich ein halbes Jahr lang an der Querflöte versucht, von der Schule eine Oboe ausgeliehen und mehrere Monate meine Familie, die Nachbarn und die Violine mit der ,kleinen Nachtmusik’ gequält. Auch das Cembalo meiner Schule hat, mehrere Monate Unterschlupf in meinem Zimmer bekommen“, sagt sie. Sie habe, so erzählt Zahn, einfach am liebsten alles nachspielen wollen, was sie auf CDs oder im Radio gehört habe.

Dass sie der Orgel treu blieb, ist kein Zufall. „Ich denke, das liegt gerade an meiner großen Faszination für viele unterschiedliche Instrumente und Klangfarben.“ Denn die Orgel, so schwärmt Zahn, sei vielseitig. „Man kann ihr leise, sphärische Klänge entlocken, aber auch laute, majestätische. Man kann alte Meister, romantische und zeitgenössische Musik auf ihr spielen, sogar Gospel und Blues. Man kann Orchesterwerke mit vielen unterschiedlichen Instrumenten nachahmen, aber genauso gut einfühlsam Solisten aller Art begleiten. Die Orgel kann sich unterordnen und anderen dienen, aber sie muss es nicht. Sie braucht kein anderes Instrument neben sich, um ihre volle Pracht zu entfalten.“

Zahn studiert in Tübingen, Paris und Frankfurt

Und so studierte Zahn schließlich das Orgelspiel, zuerst in Tübingen, dann in Paris am Conservatoire national de région, danach in Frankfurt. Sie arbeitete als Kantorin in Bad Schwalbach bei Wiesbaden, doch nach einigen Jahren zog es sie zurück in die Heimat nach Birenbach. Heute lebt sie dort mit ihrem Mann, mit dem sie in der Freizeit viel musiziert, und ihren sechs und neun Jahre alten Töchtern, die unter anderem im Kinderchor singen.

Auf eine feste Anstellung verzichtet die Musikerin zurzeit bewusst – „solange die Kinder noch eine intensive Betreuung brauchen, arbeite ich freiberuflich. Ich spiele, so oft ich es einrichten kann an unterschiedlichen Orten, mal sonntags im Gottesdienst in der Stadtkirche oder der Oberhofenkirche. Mal wirke ich bei Konzerten solistisch oder als Begleitung zum Beispiel bei großen Chorkonzerten mit, mal spiele ich mit Partnern oder Ensembles, zum Beispiel mit Albrecht Volz, mit dem ich ein Programm für Orgel und Schlagwerk habe“, erzählt die Musikerin.

Mal wieder an der Orgel, an der die Reise begann

An diesem Mittwoch kehrt Verena Zahn wieder einmal zu der Orgel zurück, mit der für sie die Reise vor einem Vierteljahrhundert begann: Um 20 Uhr spielt sie unter dem Motto „Bach und die französische Orgelkunst“ beim Göppinger Orgelsommer französische Kompositionen aus drei Jahrhunderten. Das passt auch deshalb besonders gut, weil das Instrument mit seinen drei Manualen klanglich an der französischen Klassik und Romantik orientiert ist, eine Musik, deren Erhabenheit die Musikerin ganz besonders schätzt. „Jede Orgel“, sagt sie, „hat ihren eigenen Charakter, ihre eigene Seele.“ Manchmal habe sie das Gefühl, sich erst mit einer Orgel anfreunden zu müssen. Doch wenn das Band geknüpft sei, dann könne sie in eine andere Welt eintauchen, alles hinter sich lassen und sich von den Klängen beflügeln lassen. „Das Größte ist dann, wenn es gelingt, die Zuhörer mitzunehmen.“

Vielleicht seien heute viele Menschen auf der Suche nach etwas Transzendenz in ihrem Alltag, sagt Klaus Rothaupt. Die Kirchenorgel, mit ihren vielfältigen Klängen, sei sicher eine Möglichkeit, diese Transzendenz zu erleben, fährt der Bezirkskantor nachdenklich fort. Kein Wunder also, dass der Orgelsommer wiederholt wird – diesmal nehmen vier Virtuosen das Publikum auf ihre musikalischen Reisen mit.

Virtuosen in der Stadtkirche

Orgelsommer:
Bis einschließlich Freitag, 10. August, veranstaltet die Evangelische Kirchengemeinde Göppingen unter der Federführung des Bezirkskantors und Kirchenmusikdirektors Klaus Rothaupt den 2. Göppinger Orgelsommer in der Stadtkirche. Die Konzerte beginnen jeweils um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.

Dienstag:
Zum Auftakt kommt Rothaupts katholischer Amtskollege in die Stadtkirche, der Göppinger Dekanatskantor Martin Böhm. Unter dem Motto „Very british“ gibt er an diesem Dienstag um 20 Uhr ein buntes Programm englischer Orgelmusik aus vier Jahrhunderten mit Werken von Henry Purcell, Edward Elgar, Charles Stanford und anderen zum Besten.

Mittwoch:
Am Mittwoch folgt die vielfach ausgezeichnete Meisterschülerin von Rothaupt, Verena Zahn, die das Orgelspiel in Tübingen, Frankfurt und Paris studiert hat. Die Birenbacherin führt die Reihe mit Johann Sebastian Bach fort, dem sie französische Werke gegenüberstellt. Die Preisträgerin beim „Internationalen Orgelwettbewerb um den Bachpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden“ spielt dazu französische Komponisten aus drei Jahrhunderten, darunter Messiaen, Franck, Widor, Duruflé und Alain.

Donnerstag:
Mit Harald Feller und Margareta Hürholz kommen auch zwei ehemalige Studienkollegen von Klaus Rothaupt nach Göppingen. Feller und Hürholz sind heute beide international ausgezeichnete Virtuosen. Feller, Professor an der Musikhochschule München und Komponist bedeutender Orgel- und Chorwerke, spielt am Donnerstag, 9. August, Werke von Bach, Mozart, Beethoven, Wagner (Isoldes Liebestod), Liszt sowie einige eigene Kompositionen.

Freitag:
Den Schlusspunkt macht Margareta Hürholz, Professorin für künstlerisches Orgelspiel an der Musikhochschule Köln und vielfach ausgezeichnete Konzertorganistin, mit Werken von Bach und Komponisten des 19. und 20. Jahrhundert.