Als Siebenjährige war Lilly Pflüger das erste Mal im Naturferiendorf auf dem Boßler. Jetzt ist sie dort Jugendleiterin.

Göppingen - Das Insektenhotel hinter dem Haus auf dem Boßler steht noch. Ein Holzkasten mit einem kurzen Spitzdach und Baumstämmen mit Löchern darin, in denen Bienen und Wespen überwintern. Auf einer Holzlatte stehen mit einem Filzstift die Namen derer geschrieben, die vor sieben Jahren beim Bau des Insektenhotels dabei waren. Lilli Pflüger fährt die Namen mit einem Finger ab und kann ihren doch nicht finden. „Ich glaube, da konnte ich noch nicht einmal schreiben“, sagt die heute 14-Jährige.

 

Seit zehn Jahren fahren Kinder für eine Woche in das Naturferiendorf auf den Boßler auf der Schwäbischen Alb. Das Dorf ist ein altes Bauernhaus inmitten einer malerischen Landschaft, umgeben von Wäldern und blühenden Wiesen. Hier bemalen Kinder Steine oder spielen im Wald Verstecken. Einige von ihnen waren vor Jahren selbst mal Teilnehmer und übernehmen nun als Leiter zum ersten Mal die Verantwortung für andere. Lilly Pflüger ist eine von ihnen.

Acht Jugendleiter helfen den Erwachsenen

Ein kleines Mädchen mit blonden Locken krallt sich an Lillys Unterarm. „Gehst du mit mir Backen?“, fragt sie Lilly. Diese befreit sich vorsichtig aus der Umklammerung und schiebt das kleine Mädchen vor sich ins Haus. „Manche der Kinder sind das erste Mal ohne ihre Eltern verreist und brauchen unsere Unterstützung“, sagt Lilly später. Sie hat ihre Haare zu einem praktischen Dutt nach hinten gebunden und klingt manchmal wie eine Erwachsene. Um sie herum zwirbeln Mädchen Diabolos durch die Luft. Zwei Jungs auf einem Mauervorsprung blättern in einem Donald Duck-Comic.

In der Hausküche steigt würziger Geruch in die Nase, es herrscht reger Betrieb. Nicht nur müssen die Maultaschen für das Mittagessen zubereitet werden, sondern auch der Nachtisch für den Wochenabschluss mit den Eltern. Kinder und Erwachsene stehen um die Tische herum und kneten den Teig. Die Bewohner von Boßlerbü, wie man die Leute hier nennt, lassen sich in drei Gruppen einteilen: es gibt acht erwachsene Leiter. Außerdem acht Jugendleiter im Alter zwischen 13 und 14 Jahren und 25 Kinder unter zehn Jahren. Ein Kind wurde vor einigen Tagen von seinen Eltern wieder abgeholt, weil es Heimweh hatte.

Die Zeckenkontrolle übernehmen andere

Am ersten Abend waren die Kinder aufgeregt und konnten nicht einschlafen, manche haben geweint, erzählt Lilly. „Das war echt nicht einfach“, sagt sie. Sie setzte sich mit einem Buch vor die Betten und las den Kindern „Die fünf Freunde“ vor. Irgendwann herrschte Ruhe. Sie findet es schön, wenn Kinder zu ihr Vertrauen gewinnen und auf sie hören. Manchmal müsse man auch streng sein, sagt sie. „Manchmal einfach nur zuhören.“

Mit zaghaften Bewegungen rollt das Mädchen mit den blonden Locken Teigmasse zu einer Rolle zusammen. Der Teig ist widerständig, an manchen Stellen klebt er wie Kaugummi an der Tischoberfläche. Lilly kratzt mit einer Messerklinge die Masse vorsichtig vom Tisch, dann schneidet das kleine Mädchen die Rolle in Scheiben. Für den Elternabend morgen werden Zimtschnecken gebacken.

Die Kompetenzen von Jugendleitern wie Lilly sind beschränkt. Sie dürfen zum Beispiel nicht Pflaster anbringen, wenn sich ein Kind verletzt. Auch die Zeckenkontrolle am Abend übernehmen die Erwachsenen. Auf der anderen Seite tragen sie echte Verantwortung. Manche helfen in der Küche, andere malen den Kleinen indianerähnliche Henna-Tattoos auf die Hände. Lilly macht von allem etwas. Sie übernimmt auch die Anfragen von Journalisten und führt mit einigen Kolleginnen kompetent durch das Dorf. Das wirkt wie eine kleine Welt für sich. Mit bemalten Steinen und Hotels für Insekten.