Rund hundert Besucher ziehen mit dem Experten Werner Hiller über den nächtlichen Friedhof in Göppingen, um die dort lebenden Fledermäuse zu beobachten.

Göppingen - Ist es schon wieder ein Vogel? Ein Flugzeug? Nein. Ein Dutzend Arme reckt sich zeigend in die Höhe. „Da, eine Fledermaus“, rufen einige der rund hundert Besucher, die seit einer Viertelstunde auf einer Wiese unterhalb des Göppinger Friedhofs auf die Dämmerung warten. Denn dann krabbeln die nachtaktiven Friedhofsbewohner aus ihren Nistkästen in den Baumwipfeln und gehen in der Sommerluft über der Wiese auf Insektenjagd. Der Tanz der Fledermäuse am Nachthimmel soll der Höhepunkt der Führung sein, auf der Werner Hiller vom Naturkundeverein den Teilnehmern einen Einblick in die Welt der seltenen Tiere gibt.

 

Mit seinem Bat-Detektor, einem kleinen, schwarzen Empfangsgerät, kann Hiller die für Menschen unhörbaren Ultraschallrufe, mit denen sich die Fledermäuse orientieren, in ratternde Knacklaute verwandeln. So können die Besucher im Dunkeln hören, was sich am Himmel abspielt. Doch noch herrscht Stille über den Köpfen. Nur ab und zu wird sie von den krächzenden Rufen der Krähen unterbrochen, die aus der Stadtmitte in ihre Nachtlager jenseits des Friedhofs zurückkehren. Ein Flügelschlag, Blicke zucken zum Himmeln. Nein, wieder nur ein Vogel.

Kleine Abendsegler aus nächster Nähe

Die Besucher warten gelassen, denn sie haben schon mehr gesehen, als viele erwartet hätten: Abendsegler und Bechsteinfledermäuse zum Beispiel. Mit einer Leiter bewaffnet hatte sie Werner Hiller über den Friedhof geführt und immer wieder Station an einem der Bäume gemacht, an denen ein Nistkasten hängt. Baum Nummer eins, die Leiter angelegt, hinaufgestiegen, ein Blick in den Kasten. „Niemand zu Hause“, murmelt Hiller und steigt wieder hinab. Auf zum nächsten Baum, zum nächsten Kasten.

Diesmal hat die Gruppe mehr Glück. Als Hiller ihn vom Baum nimmt, ist ein helles, grillenähnliches Zirpen zu hören. „Die Soziallaute der Fledermäuse können auch Menschen hören – im Gegensatz zu den Jagd- und Orientierungsrufen“, erklärt der Experte.

Die Fledermäuse tanzen am Nachthimmel

Tatsächlich, als Hiller den Kasten öffnet, blinzeln drei noch etwas verschlafene kleine Abendsegler aus seinen Tiefen hervor. Einer nach dem anderen dürfen die Besucher einen Blick in den Kasten werfen. Ihr staunendes Entzücken verwandelt sich in einen ziemlichen Schrecken, als der Trubel einem der Tiere offensichtlich zu dumm wird. Gerade hing es noch träge in der Höhle, jetzt flattert es wie der Blitz zwischen den Menschen davon. So mancher zuckt zusammen und zieht den Kopf ein, zwei, drei Frau schreien erschreckt auf – und müssen dann über sich lachen.

Fledermäuse sind in Göppingen willkommen. Foto: StZ
Im nächsten Kasten liegt eine ganze Truppe winziger Bechsteinfledermäuse auf einem Haufen. Gemütlich ist das wohl nur für Fledermäuse. „Eine Mutter und ihre Jungen“, erklärt Hiller. Nach weiteren Fledermausbegegnungen wird es über den Umweg Windkraft („Da werden immer wieder welche erschlagen“) und Umweltschutz („Man kann Nistkästen aufhängen. Vielleicht ziehen Fledermäuse ein, vielleicht Vögel, vielleicht gar nichts“) philosophisch: Hiller und seine Gäste denken über die Zukunft der Menschheit nach und fragen sich, ob der Mensch den Ast auf dem er sitzt, so schnell absägt, dass er am Ende nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch sich selbst ausgerottet hat. Dann geht es auf die Wiese, zum Warten auf den Tanz der Fledermäuse am Nachthimmel, denn noch gibt es die immer seltener werdenden Tiere. Und tatsächlich, nach einer Viertelstunde beginnt der Bat-Detektor zu knattern.

Ein Biotop aus Menschenhand

Artenreichtum
Auf dem rund 100 Jahre alten, parkähnlichen Göppinger Friedhof stehen 40 verschiedene Baumarten. Dort leben 70 Vogelarten, die Hälfte brütet dort. Außerdem gibt es dort viele Insektenarten, und auch größere Tiere lassen sich ab und zu blicken: Eichhörnchen, Marder, Füchse und hin und wieder ein Dachs oder ein Waschbär. Der Naturschutzbund hat im Jahr 1980 dort 100 Nistkästen aufgehängt. Heute sind es noch 81. Davon sind 14 für Fledermäuse vorgesehen. Die halten sich allerdings nicht an menschliche Vorgaben und bewohnen auch sehr gerne die Meisenkästen.

Fledertiere
Von den 22 Fledermausarten (weltweit gibt es etwa 1000), die in Deutschland vorkommen, sind fünf auf dem Friedhof heimisch: Großer und kleiner Abendsegler, Langohr, Wasserfledermaus und die besonders winzige und sehr scheue zehn Gramm leichte Bechsteinfledermaus. Der erste dieser kleinen Säuger wurde 1989 auf dem Friedhof gesichtet. Inzwischen besteht die Kolonie aus mehr als 30 Tieren. Naturschützer haben im vergangenen November außerdem mehr als hundert Abendsegler gezählt. Fledermäuse gibt es seit etwa 50 bis 60 Millionen Jahren. Manche Arten können bis zu 20 Jahre alt werden, in freier Wildbahn erreichen sie im Schnitt aber nur ein Alter von fünf bis sieben Jahren.