Immer mehr Musiker entdecken ihre Vorliebe für das Spielzeugklavier des Göppinger Amerika-Auswanderers Albert Schoenhut. Auch ernstzunehmende Komponisten schreiben Stücke für dieses Instrument.

Göppingen - Für den Göppinger Auswanderer Albert Schoenhut ist der amerikanische Traum wahr geworden. Mit seiner Spielwarenfabrik brachte er es Ende des 19. Jahrhunderts zum Millionär. Heute ist die A. Schoenhut Company Geschichte. Nur ein Produkt des rührigen Schwaben, der sich mit nur 17 Jahren in den USA ein neues Leben aufbaute, hat überlebt: das Toy Piano, ein Spielzeugklavier. Ursprünglich sollte es das Interesse von Kindern an Musik wecken. Und wie es der Zufall so will, hat sich ausgerechnet ein Komponist und Klangkünstler aus der Göppinger Partnerstadt Klosterneuburg in Österreich am intensivsten mit dem Toy Piano beschäftigt. Karlheinz Essl schrieb viele Stücke für Kinderklaviere. Wie vielseitig dieses Instrument bei aller Beschränkung ist, stellt an diesem Samstag eine „Nacht der Toy Pianos“ im Haus Illig in Göppingen unter Beweis.

 

Liebe auf das erste Hören war es nicht. Karlheinz Essl, Jahrgang 1960, konnte dem Toy Piano zunächst nicht viel abgewinnen. Dann aber faszinierten ihn die „glockenähnlichen, gamelanartigen Klänge“. Das Instrument habe etwas Frisches, fast schon Unschuldiges, sagte er einmal. Schließlich willigte er ein, für die österreichische Pianistin Isabel Ettenauer, die an diesem Wochenende auch in Göppingen gastiert, ein Stück zu schreiben.

Halbtöne gibt es nicht

Um dem Instrument auf „die Schliche“ zu kommen, borgte sich Essl von Isabel Ettenauer ein Schoenhut Baby Grand aus. Dieses Kinderklavier ist mit seinen drei Oktaven das größte, die kleinsten haben gerade mal anderthalb Oktaven. Mit einem richtigen Klavier und dessen siebeneinhalb Oktaven hat es, abgesehen von der Klaviatur, nicht viel gemein. „Dieses Instrument hat mit dem Klavier gar nichts zu tun“, sagt Karlheinz Essl. Drücke man eine Taste, schlage der Hammer nicht auf eine Stahlsaite, sondern auf einen Metallstab. Dabei sei es völlig egal, ob er die Taste kurz oder lang halte, der Ton sei immer der gleiche, weil es keine Dämpfung gebe. Außerdem ist es nicht möglich, auf einem Toy Piano Halbtöne zu spielen.

Diese Begrenztheit des Toy Pianos hat für Karlheinz Essl eine faszinierende Kehrseite: die Freiheit, ein Stück zu schreiben, ohne die große Tradition der Klaviermusik im Hinterkopf. „Wenn ich ein herkömmliches Klavier anschlage, höre ich sofort den ganzen Bach, den Beethoven, den Mozart, den Schönberg, den Stockhausen.“

Vorreiter war John Cage

Neun große Werke hat der Klosterneuburger Komponist inzwischen für das Toy Piano geschrieben. Häufig verwendet er auch Elektronik. Der „kleine Klang“ des Spielzeugklaviers werde durch die Verstärkung und den Einsatz von Live-Elektronik fast zu etwas Orchestralem, erläutert er. Fertig scheint der österreichische Klangkünstler mit dem Toy Piano noch lange nicht zu sein. Denn offenbar ist seine Experimentierfreude mit jeder Komposition größer geworden.

Karlheinz Essl ist nicht der erste Komponist, der sich mit dem Toy Piano beschäftigt. Der Vorreiter war der Amerikaner John Cage, einer der einflussreichsten Avantgardekomponisten des 20. Jahrhunderts. Er schrieb im Jahr 1948 die erste ernsthafte Komposition für das Spielzeugklavier, die „Suite for Toy Piano“. Dann wurde es in den Konzertsälen still um das Kinderklavier, bis es der Düsseldorfer Pianist Bernd Wiesemann (1938–2015) in den 1970er Jahren wieder entdeckte. Mittlerweile sei das Toy Piano aus der avantgardistischen E-Musik nicht mehr wegzudenken, wie der Musikjournalist Christoph Wagner feststellt, der am Samstag in Göppingen durch das Programm führt. Aber auch Popstars wie Tom Waits oder Björk und Jazzmusiker bedienen sich dieses Instruments.

Die Faszination des Kinderklaviers

Die Vielfalt des Toy Pianos können Besucher an diesem Samstag, 24. Februar, um 19.30 Uhr im Haus Illig in Göppingen erleben. Als Vertreter des Jazz spielen bei der „Nacht der Toy Pianos“ das Duo Kappeler/Zumthor sowie das Duo Fifty-Fifty. Vera Kappeler und Peter Conradin Zumthor gehören zu den profiliertesten Vertretern der Schweizer Jazzszene. Manfred Kniel und Ekkehard Rössle sind Fifty-Fifty.

Die österreichische Pianistin Isabel Ettenauer hat sich dem Toy Piano verschrieben. An diesem Sonntag um 11 Uhr bestreitet sie eine Matinee im Göppinger Stadtmuseum im Storchen. Anschließend findet eine Führung durch die Schoenhut-Ausstellung statt, die noch bis 8. April zu sehen ist.