Vor hundert Jahren bestimmte nationale Begeisterung das Christfest, wie eine Ausstellung im Göppinger Stadtmuseum im Storchen zeigt. Die Exponate stammen von dem Gingener Sammler Roland Schramm.

Göppingen - Kein Kriegsspielzeug in den Kinderzimmern, lautet heutzutage der Schlachtruf der Pädagogen. Vor hundert Jahren war das ganz anders. Jungs sollten von klein auf mit dem Kriegshandwerk in Berührung kommen. Unter den Christbäumen der Jahre 1914 bis 1918 harrten denn auch Zinnsoldaten, Gewehre, Kriegsschiffe, Zeppeline und Säbel auf ihre Entdeckung, und die damals beliebten Laternae Magicae zauberten ganz gewiss keine magischen Momente an die Kinderzimmerwände, wie die aktuelle Weihnachtsausstellung „Weihnachten vor 100 Jahren“ mit Exponaten des Sammlers Roland Schramm im Göppinger Stadtmuseum eindrucksvoll zeigt. Den Buben wurden vielmehr martialische Schlachtenszenen zugemutet.

 

Überm Schützengraben wachen Engel

Gezeigt wird im ersten Stock des Museums im Storchen jedoch nicht nur Kriegsspielzeug, was bedrückend genug wäre. Die Schau beleuchtet eindringlich, wie die Kriegspropaganda in jenen Jahren das Christfest durchdrang. Eine kleine, unscheinbare Glaskugel in den Farben schwarz-weiß-rot, die er geschenkt bekommen hatte, hat den Sammler Roland Schramm aus Gingen einst aufmerken lassen. Der Christbaumschmuck aus den Jahren des ersten Weltkrieges war sicher nicht zufällig in den Farben des Deutschen Reiches gehalten, sinnierte er und entdeckte Weihnachtsschmuck aus feinem Glas in Form von Granaten, Bomben und Eisernen Kreuzen, die er seiner Sammlung einverleibte. Auch Zeppeline und das Konterfei Kaiser Wilhelms waren in den Jahren des Ersten Weltkriegs an den Christbäumen in den gutbürgerlichen Stuben en vogue. Diese Stücke wollte Roland Schramm der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Deshalb regte er an, mit der diesjährigen Weihnachtsausstellung ein Jahrhundert zurückzublicken.

Dass an der Front das schiere Grauen herrschte, spielte in der Weihnachtsherrlichkeit der Jahre 1914 bis 1918 keine Rolle. Selbst als sich die erste Kriegsbegeisterung – und die dauerte bekanntlich gar nicht so lange – gelegt hatte, wurden unterm Lichterbaum Nationalpatriotismus und Siegesgewissheit hochgehalten. So zeigen die Weihnachtspostkarten, die in den Vitrinen des Stadtmuseums zu sehen sind, pausbäckige, wohlgenährte Soldätchen, die vor Kanonen und Christbäumen übermütig ihre Säbel schwingen. Ein anderes Motiv des damals noch jungen Mediums Postkarte ist ein Schützengraben, über dem zwei Engel wachen. Rund zehn Millionen dieser Feldpostkarten schickten deutsche Soldaten in den Jahren 1914 bis 1918 in die Heimat.

Festgeschirr mit dem Reichsadler

Vor Nationalstolz und Kriegseuphorie trieft auch die gutbürgerliche Stube, die Roland Schramm für die Ausstellung im Museum eingerichtet hat. Die Festtafel ist gedeckt mit einem Geschirr, das der Reichsadler ziert, und der Christbaum trägt Glaskugeln in Form von Bomben, Granaten und Zeppelinen. Die Baumspitze ist beflaggt mit zwei Fahnen des deutschen Reiches. Engel und Sterne oder gar ein christliches Kreuz sucht man in dieser guten Stube – und übrigens auch in der ganzen Ausstellung – vergebens. Im Taumel der nationalen Begeisterung ging die christliche Botschaft des Weihnachtsfestes unter.

Wie viel bescheidener nehmen sich da die Bäumchen in den Schützengräben aus, von denen ebenfalls einige zu sehen sind. Anstelle von Lametta schmückten die Soldaten die aus Stäben nachgebildeten Bäume mit Holzwolle, Uhrenketten und Patronenhülsen. Auf dem Gabentisch, respektive in ihren Paketen von zu Hause fanden die Soldaten Schokolade, Zigarren oder auch Klappmesser.

Mit lokalhistorischen Fakten hat Karl-Heinz Rueß, der Leiter der Göppinger Museen, die Ausstellung unterfüttert. Mehr als 800 Soldaten aus Göpingen fielen im ersten Weltkrieg. Die ersten beiden Kriegstoten waren die 15 und 17 Jahre alten Brüder Claus. Sie kamen nicht über den Göppinger Bahnhof hinaus. Sie wurden gleich in den ersten Kriegstagen von einem Zug erfasst. Ergänzt wird die Ausstellung weiter von den Zeichnungen Carl Mockers. Er war an der französischen Front eingesetzt und hielt mit seinem Stift akribisch den Kriegsalltag fest.

SzenischeLesung, Film und Führungen

Die Exponate der diesjährigen Weihnachtsausstellung im Stadtmuseum Göppingen stammen aus der Sammlung von Roland Schramm. Seit 40 Jahren trägt der Gingener alles zusammen, was mit Weihnachten zu tun hat. Am 13. Januar, am 3. und 24. Februar führt der Sammler um jeweils 15 Uhr persönlich durch die Ausstellung.

„Aus den Akten auf die Bühne. Göppingen 1914 bis 1918. Eine Stadt im Krieg“, lautet der Titel einer szenischen Lesung am Dienstag, 5. Februar, um 19 Uhr im Theater im Bahnhof in Rechberghausen. Die Veranstaltung ist eine Kooperation des Archivs und der Museen der Stadt Göppingen mit dem Verein Theater im Bahnhof. Das Stück basiert auf dem Kriegstagebuch des Göppinger Soldaten Paul Engel, der mit 19 Jahren einberufen wurde. Karten gibt es im Vorverkauf im Stadtmuseum.

Der deutsche Film „Westfront 1918“ von Georg Wilhelm Pabst aus dem Jahr 1930 zeigt die Grausamkeit des Krieges an der französischen Front. Zu sehen ist er am Sonntag, 20. Januar, um 17 Uhr im Museum.

Die Schau ist bis zum 24. Februar jeweils dienstags bis samstags von 13 bis 17 Uhr zu sehen. An Sonn- und Feiertagen ist von 11 bis 17 Uhr geöffnet.