Durch Schnellbleiche wurde der Göppinger Paul Engel 1915 zum Soldaten. Wer sich fragt, warum ein 19-Jähriger so an die Front drängte, könnte Antworten in Engels Kriegstagebüchern finden.

Region: Corinna Meinke (com)

Göppingen - Wie kommt ein 19-Jähriger dazu, sich 1915 freiwillig für die Front zu melden, und warum will er überhaupt in den Krieg ziehen? Am Beispiel des Göppingers Paul Engel lassen sich solche und ähnliche Fragen zur Motivation von Teilnehmern am Ersten Weltkrieg beantworten, hofft Melanie Köhler-Pfaffendorf, die sich mit Engels Kriegstagebüchern beschäftigt.

 

Erlebnisse von der Westfront

Die Diplomarchivarin im Göppinger Stadtarchiv hat begonnen, die in Sütterlin verfassten Tagebücher in lateinische Schrift zu übertragen. Die Tagebücher schildern Engels Erlebnisse an der West- und Ostfront und geben Einblicke in die Gefühlswelt des jungen Rekruten. Drei von insgesamt sieben Tagebüchern sind jetzt auf der Internetseite des Stadtarchivs nachzulesen.

Durch Schnellbleiche zum Soldaten

„Ich habe jedoch beim Militär meinen Meister, nämlich den Willen brechen, gefunden und bin in den 14 Tagen bis jetzt schon viel männlicher geworden und hoffe, mich während meiner Dienstzeit als strammer, ehrliebender Soldat zu verhalten“, notiert der junge Mann während seiner Schnellbleiche als Soldat beim Reserve-Infanterie-Regiment 121 in Schwäbisch Gmünd im Mai 1915.

Bereits im Oktober desselben Jahres meldet sich Engel als Kriegsfreiwilliger zum Reserve-Regiment 122 an die Westfront, um dort für das Vaterland zu kämpfen. Zunächst in Belgien und später in Frankreich lernt er die Schrecken des Krieges kennen, wenn die Soldaten für geringe Geländegewinne in einen verlustreichen Abnutzungskampf gezwungen wurden: Ein vier Jahre anhaltendes Gemetzel mit Dauerbeschuss und Giftgaseinsatz, das bei den beteiligten Nationen schließlich 17 Millionen Tote sowie unzählige Verletzte und psychisch Traumatisierte hinterlässt.

Angst vor dem Gas-Angriff

Die hässliche Fratze des Krieges erlebt auch Paul Engel; beispielsweise, als er und seine Kameraden den sechs Meter tiefen Graben seiner Gefechtsstellung erweitern müssen und dabei die Gebeine von Soldaten freilegen, die dort zuvor ihr Leben lassen mussten. Auch wenn die Tagebucheintragungen vor allem den tristen Soldatenalltag und die schlechte Versorgungslage widerspiegeln, erlaubt sich der junge Mann die ein oder andere persönliche Notiz: „Vor so einem Gas-Angriff habe ich – ich weiß nicht warum – etwas Angst. Anders ist es, wenn der Franzmann käme. Dem würde ich und meine Kameraden es schon gründlich beibringen, und wir erwarten ihn auch tatsächlich mit Lust. Das würde mal ein „Fressen“ oder besser gesagt eine „Pastete“ für uns sein. Aber wenn einem geschwind mit ,Gas’ das Lebenslicht ausgeblasen wird, ist doch nichts Genaues.“

Enkel übergab Kriegstagebücher

Wie tiefgreifend die nationalistische Propaganda Einfluss auf das Denken und Handeln junger Männer dieser Zeit wie Paul Engel nahm, möchte Köhler-Pfaffendorf noch nicht abschließend bewerten. Immerhin warten noch vier weitere Tagebücher auf die Übertragung. In den Besitz der Bücher kam das Stadtarchiv übrigens durch einen Enkel Paul Engels, der die Einträge des Großvaters nicht entziffern konnte. Paul Engel selbst überlebte den Krieg. Er heiratete in Göppingen Else Krügler und wurde Vater eines Sohnes.

Nach einer kaufmännischen Lehre bei der Firma Gustav Munz trat er in die Firma Schuler ein und avancierte später zum Leiter der Rechnungsabteilung. Engel engagierte sich als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in den 1950er Jahren. In seiner Freizeit verfasste er viele Gedichte und war Mitglied bei Frisch Auf, der Feuerwehr und bei den Naturfreunden.