Seit sechs Jahren werden in der Göppinger Klinik Christophsbad bei Schlaganfällen Gerinnsel mittels einer Thrombektomie aus größeren Hirngefäßen entfernt. Vielen Patienten können mit dieser Behandlung vor einer dauerhaften Behinderung oder sogar vor dem Tod bewahrt werden.
Göppingen - Vorträge vor Fachpublikum führen den Göppinger Professor Bernd Tomandl um den Globus. Der Chefarzt der Neuroradiologie der Göppinger Klinik Christophsbad gilt weltweit als Schlaganfall-Experte und Spezialist für die Thrombektomie, die Entfernung eines Blutgerinnsels aus einem großen Hirngefäß mit Hilfe eines Stent-Retrievers, eines speziellen Katheters. Seit fünf Jahren wendet er diese Methode, deren Wirksamkeit in Studien lange angezweifelt wurde, im Christophsbad an. Damit ist dieses Krankenhaus das einzige zwischen Stuttgart und Ulm, das diese Behandlung durchführt. Und das auf hohem Niveau, wie Bernd Tomandl nicht ohne Stolz sagt. Rund um die Uhr stehe ein hochspezialisiertes Team aus Neurologen, Neuroradiologen und Anästhesisten bereit.
Rund 40 Patienten werden mittlerweile im Christophsbad pro Jahr mit der Kathetermethode, wie die Thrombektomie auch genannt wird, behandelt. In der Regel sind es Fälle, bei denen ein Verschluss einer größeren, hirnversorgenden Arterie vorliegt und bei denen es um Leben oder Tod geht. „Wenn ein Gerinnsel nicht entfernt werden kann, ist der Patient tot“, sagt Tomandl. Bei solchen schweren Fällen reiche die traditionelle Behandlung mit einer intravenösen Thrombolyse, auch Lyse genannt, häufig nicht aus. „Die Lyse kommt in diesen Fällen nicht mehr durch, aber mit einem Stent-Retriever kriegen wir 80 Prozent dieser Verschlüsse auf“, erklärt der Mediziner. Die Mehrzahl dieser auf diese Weise behandelten Patienten überlebten den Schlaganfall ohne schwere Behinderungen und könnten weiterhin ein weitgehend normales Leben führen.
Die Thrombektomie ist nur in bestimmten Fällen möglich
800 Schlaganfälle werden jährlich im Christophsbad behandelt. Bei der Hälfte davon handelt es sich um leichtere Hirninfarkte. In 130 Fällen kommt eine herkömmliche intravenöse Lyse infrage. Von diesen wiederum können rund 40 Patienten gleichzeitig auch mit der Kathetermethode behandelt werden. Dass die Zahl dieser Patienten vergleichsweise gering ist, erklärt Tomandl unter anderem damit, dass eine Thrombektomie nur sinnvoll sei, wenn ein mit einem Stent-Retriever erreichbares Gefäß verstopft sei.
Dass diese Methode an Bedeutung gewinnt, auch im Christophsbad, ist mehreren neueren Studien mit ermutigenden Ergebnissen zu verdanken. Sie belegen die Wirksamkeit dieses minimalinvasiven Eingriffs. Vielen Patienten könne ein Los als Pflegefall erspart werden, wenn ein Gerinnsel rechtzeitig entfernt würde, sagt Tomandl. So habe ein Gutachten im vergangenen Jahr ergeben, dass sich 60 Prozent der mit einer Thrombektomie behandelten Patienten anschließend alleine versorgen könnten. Bei der Lyse erholten sich lediglich 20 bis 30 Prozent so gut, dass sie nicht auf fremde Hilfe angewiesen seien.
Die Jahre zuvor war die Thrombektomie noch umstritten. „Bis 2013 war nicht klar, ob das wirklich etwas bringt“, so Tomandl. Das wenig erfolgversprechende Ergebnis von damals führt er auf ältere Techniken zurück. Erst 2014 sei eine Studie mit neuen Stent-Retrievern gemacht worden.
Optimale Ausstattung mit diagnostischen Geräten
Dass im Christophsbad auf so hohem Niveau Schlaganfälle behandelt werden können, ist auch einer optimalen Ausstattung mit diagnostischen Geräten zu verdanken. „Wir gönnen uns als eine von zehn Kliniken eine Kernspintomografen“, erklärt Tomandl. Aber auch andere hochmoderne bildgebende Methoden werden eingesetzt. Da bei einem Schlaganfall jede Sekunde zählt, müssen die Bilder in kürzester Zeit – Tomandl spricht von zwölf Minuten – interpretiert werden. Dazu bedürfe es eines erfahrenen Neuroradiologen.
Auch während der Thrombektomie verfolgt der Arzt jeden Schritt der Behandlung auf dem Bildschirm. Da nicht alle Kliniken eine Thrombektomie durchführen können, plant das Christophsbad in Zusammenarbeit mit den umliegenden Kliniken die Schaffung eines neurovaskulären Netzwerks. Dieses soll sicherstellen, dass jeder in Frage kommende Patient schnellstmöglich von einer normalen in eine spezialisierte Klinik weitergeleitet wird. Wenn solche Netzwerke flächendeckend in ganz Deutschland bestünden, so Tomandl, könnten jährlich 10 000 Menschen mit einem schweren Schlaganfall vor dauerhaften Behinderungen oder sogar dem Tod bewahrt werden.
Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute
Etwa 260 000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschland einen Schlaganfall. Damit ist der Hirninfarkt eine der häufigsten Erkrankungen und die dritthäufigste Todesursache. Weltweit sterben jährlich drei Millionen Menschen an dieser Krankheit. Patienten, die überleben, haben oft eine schlechte Prognose. Häufig sind sie schwer behindert und werden zu einem Pflegefall.
Die Göppinger Klinik Chris-tophsbad ist als regionales Schlaganfall-Zentrum anerkannt. „Für eine überregionale Zertifizierung fehlt uns lediglich eine neurochirurgische Abteilung“, sagt Bernd Tomandl, der Chefarzt der Neuroradiologie. Sollte eine Operation erforderlich sein, so arbeitet das Christophsbad eng mit den Neurochirurgien in Ulm, Stuttgart und Ludwigsburg zusammen. Als lokale Schlaganfalleinheit sind die Alb-Fils-Kliniken am Standort Göppingen seit zwölf Jahren zertifiziert. Beide Göppinger Krankenhäuser praktizieren eine enge Kooperation.
Ein Schnelltest, den auch Laien ohne Probleme durchführen können, verschafft schnell Klarheit, ob jemand möglicherweise einen Schlaganfall erlitten hat. Verzieht der Betroffene das Gesicht einseitig, wenn er lächeln soll, dann liegt eine Lähmung vor. Außerdem sollten die Arme des Patienten nach vorne gehoben und die Handflächen nach oben gedreht werden. Bei einer Lähmung sinken die Arme wieder oder drehen sich. Bereitet das Nachsprechen eines einfachen Satzes Schwierigkeiten und ist die Sprache verwaschen, ist das ebenfalls ein Indiz für eine Lähmung. Sollte auch nur eines dieser drei Symptome auftreten, muss rasch gehandelt werden. „Jeder Schlaganfall ist ein Notfall, jede Minute zählt“, sagt der Göppinger Neuroradiologe Tomandl.
Beim Verdacht auf einen Schlaganfall ist Hilfe zu bekommen unter dem Notruf 112 oder direkt im Christophsbad unter der Telefonnummer 0 71 61/6 01-97 01. Beide Nummern sind rund um die Uhr besetzt. Im Christophsbad steht 24 Stunden lang ein Spezialistenteam bereit.