Vor 50 Jahren ist Ursenwang, eine in sich geschlossene Siedlung für fast 3000 Bewohner, vor den Toren von Göppingen aus dem Boden gestampft worden. Ein Dokumentarfilm des Filmemachers Gerhard Stahl erinnert an die Entstehung dieses Vorzeigeprojekts auf der grünen Wiese.

Göppingen - Die Hochhäuser sind weithin zu sehen. Sie geben dem Göppinger Stadtbezirk Ursenwang Urbanität und bilden einen optischen Kontrapunkt zum nahen, dörflichen Schlat, das sich idyllisch an den Albtrauf schmiegt. 50 Jahre ist es her, dass die Trabantenstadt Ursenwang aus dem Boden gestampft wurde. Ein ehrgeiziges und bis dahin in Göppingen beispielloses Projekt oder, wie es in Amtsdeutsch hieß, ein Demonstrationswohnbauvorhaben. An die Entstehung dieser ehemaligen Vorzeigesiedlung erinnert am Sonntagabend ein Dokumentarfilm des Göppinger Filmemachers Gerhard Stahl.

 

Für den neuen Stadtteil mit seinen Hoch-, Reihen- und Einfamilienhäusern gab es natürlich Geld. Das Wohnungsbauministerium des Bundes unterstützte das Projekt. Doch zunächst erwies sich der angestrebte Modellcharakter des geplanten Stadtbezirks als Bremsklotz. Die Stadt musste verschiedene Voraussetzungen erfüllen, bevor das Ministerium seinen Segen gab. Das Ziel war es, neueste Erkenntnisse über zweckmäßiges und schönes Wohnen zu verwirklichen. Die verdichtete Bauweise – fast 3000 Menschen fanden in Ursenwang eine neue Heimat – sollte von der Stadt auf die grüne Wiese exportiert werden. So war es auch eine Selbstverständlichkeit, dass Hochhäuser entstanden. „Das war der Stil der 60er Jahre, die Hochhäuser setzten einen städtebaulichen Akzent“, sagt der Leiter des Göppinger Stadtarchivs, Karl-Heinz Rueß.

Die schöne Lage inmitten der Natur war gegeben. Auch war das Gebiet bereits erschlossen. Die Stadt hatte vorausschauend 760 000 Mark in den Bau eines 1,6 Kilometer langen Straßen- und eines 2,3 Kilometer langen Kanalnetzes investiert. Andere Forderungen mussten dagegen erst noch erfüllt werden. So sollte etwa jede Mietwohnung acht Quadratmeter größer werden, weil die Möglichkeit eines separaten Essplatzes gewünscht wurde. Außerdem waren Schornsteine tabu. Anders als in der Stadt, wo Fabrikschlote und Kamine von Privathäusern Emissionen in den Himmel bliesen, sollte die Luft in der Trabantenstadt sauber sein – und gesund. Die Wärme für die 750 Wohnungen und das Wasser sollte aus einer Fernheizungsmeiler kommen, der ebenfalls in der Siedlung errichtet wurde und der zu Beginn der 1960er Jahre einer der modernsten in ganz Süddeutschland war. Kostenpunkt damals schon: 1,2 Millionen Mark.

Nicht nur bei der Wärmeerzeugung ging man neue Wege. Das Projekt war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Als letzter Schrei galt damals in der Baubranche die Bauweise mit Betonfertigteilen. Diese wurden in Ursenwang an Ort und Stelle in einer sogenannten Feldfabrik hergestellt, die von einem aufblasbaren Zelt überwölbt war. Im Winter konnte man das Zelt mit Dampf heizen, so dass die Teile trockneten.

Die Göppinger Wohnbau und mehrere externe Wohnbaugesellschaften waren in der Trabantensiedlung in den Jahren 1963 bis 1965 am Werk. Bis zu 170 Arbeiter und sieben Kräne waren auf der Großbaustelle im Einsatz. Zu Beginn des Jahres 1963 legte ein schneereicher Winter die Baustelle lahm. Das Wetter ließ viele der ausgehobenen Baugruben wieder einstürzen. Erst im April 1963 konnten die Arbeiten mit Hochdruck weitergehen.

Für die Bewohner Ursenwangs wurde ein Geschäftszentrum mit verschiedenen Läden geschaffen. Ferner entstanden eine Schule und ein Kindergarten sowie ein kleines Gewerbegebiet. Auf dem höchst gelegenen Punkt der Siedlung errichtete die katholische Kirche die Heilig-Geist-Kirche.

Dokumentation
Der Film über Ursenwang ist in Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Gerhard Stahl und dem Göppinger Stadtarchiv entstanden. Er basiert auf Aufnahmen eines ambitionierten Amateurfilmers. Dieser gehörte zu den ersten Bewohnern Ursenwangs und hielt die Bauarbeiten mit seiner Filmkamera fest. Zu Wort kommen in der Dokumentation Bewohner des Stadtteils und Menschen, die mit dem Bauprojekt befasst waren.

Premiere
Der Film wird am Sonntag, 16. Februar, erstmals öffentlich gezeigt, und zwar in der Heilig-Geist-Kirche in Ursenwang. Die Aufführung beginnt um 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Um eine Spende für die Kirche wird gebeten.