Die EU will die Medikamentengaben in der Massentierhaltung einschränken, um Resistenzen beim Menschen vorzubeugen. Viele Tierärzte im Kreis Göppingen glauben, auch Haustiere seien davon betroffen. Doch Europaparlamentarier widersprechen.

Göppingen - So mancher Tierhalter hat sie bei seinem Tierarzt vielleicht schon gesehen: die Unterschriftenkampagne des Bundesverbands praktizierender Tierärzte (BPT) gegen ein von der EU geplantes weitreichendes Antibiotikaverbot in der Tiermedizin. Die Entscheidung des EU-Parlaments für das neue Gesetz, in dem das Antibiotika-Verbot festgelegt wird, fällt am 8. September. Bis dahin will der BPT laut seiner Homepage ausreichend Unterschriften sammeln, um den Parlamentariern deutlich zu machen, dass der Tierschutzverband das Anwendungsverbot bestimmter Antibiotika für „tierschutzwidrig hält, weil viele Krankheiten dann nicht mehr oder nicht mehr adäquat behandelt werden können“. Dabei kritisiert der BPT besonders, dass ein Entwurf der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zur Einstufung der Antibiotika vom Umweltausschuss des EU-Parlaments abgelehnt wurde und dafür mit großer Mehrheit ein weitergehender Vorschlag zur Entscheidung steht.

 

Nur für den Notfall gedacht

Der Ausschuss fordert in seinem Entschluss die EU-Kommission auf, fünf Antibiotika-Gruppen offiziell als Reserveantibiotika einzustufen. Das hätte zur Folge, dass diese nicht mehr in der Massentierhaltung verwendet werden dürfen. Reserveantibiotika sind Medikamente, die bei Infektionskrankheiten nur verwendet werden, wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken. Ziel ist ein möglichst restriktiver Einsatz dieser Mittel, um ihre Wirksamkeit beim Menschen durch Antibiotikaresistenzen nicht zu gefährden. Gleichzeitig soll die Kommission einen Gesetzesentwurf vorlegen, der die Einzeltierbehandlung auch mit diesen Reserveantibiotika zulassen soll. Sprich: Haustiere dürften weiterhin mit den Wirkstoffen behandelt werden.

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Das bezweifeln die Veterinäre allerdings: „Wir wollen, dass die EU-Entscheider den Vorschlag der Experten nochmals prüfen“, fordert die Eislinger Tierärztin Silke Knoll. Sie ist Kreisvertreterin im BPT. Dabei ist Knoll wie die meisten ihrer Kollegen gar nicht gegen eine Reduzierung von Antibiotika, sondern findet diese Überlegungen richtig. In den vergangenen Jahren sei der Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin bereits um 60 Prozent reduziert worden, sagt sie. „Aber es sollen nur solche verboten werden, die für die Tiermedizin nicht unbedingt notwendig sind“, schränkt sie ein. Genau das seien unter anderem die zur Entscheidung stehenden Wirkstoffe.

Widerspruch von Abgeordneten

„Das, was jetzt zusätzlich verboten werden soll, brauchen wir vor allem für Meerschweinchen, Kaninchen, Vögel und Reptilien, aber auch für Pferde, Hunde und Katzen“, sagt sie. Dem widerspricht der Europa-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne) vehement. Nachdem er in der Tierärzte-Kampagne gegen die Position des Umweltausschusses namentlich angegriffen wurde, teilte er mit, dass Haustiere nicht das Ziel der strengeren Maßnahmen seien. Wörtlich heißt es: „Die medizinische Versorgung von Haus- und Einzeltieren mit Antibiotika ist weder aktuell noch zukünftig gefährdet.“ Rückendeckung bekommt der Abgeordnete von der Deutschen Umwelthilfe. Diese hat eigenen Angaben zufolge ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zeige, dass es rechtssicher möglich sei, Haustiere wie Pferde, Hunde oder Katzen von den neuen Regeln auszunehmen. „Wenn das Gesetz durchkommt, wäre es katastrophal für die Tiere“, meint hingegen die Veterinärin Stefanie Riegert aus Geislingen, die in der Kleintierpraxis Grün in Rechberghausen tätig ist. Sie macht deutlich: „Ohne bestimmte Antibiotika müsste ich eventuell bei kleineren Augenverletzungen gleich das Auge entfernen – da hat man nicht mehr viel Spielraum.“ Riegert stört besonders, dass nur etwa fünf Prozent der Antibiotika-Resistenzen ihre Ursache in der Tiermedizin haben, wie sie sagt. „Daher lösen wir das Resistenzen-Problem mit diesem neuen Gesetz nicht.“

Profitieren die Tierärzte von der Antibiotika-Gabe?

Ihrer Ansicht nach müsste die Politik das Problem von der anderen Seite anpacken und die Vorschriften zur Tierhaltung ändern. „In der Massentierhaltung wird der größte Teil der Antibiotika benötigt“, sagt sie. Würde die Politik die Massentierhaltung nicht subventionieren, dann hätte sich der größte Teil der Antibiotika-Gaben in der Tiermedizin von allein erledigt, ist sie überzeugt.

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Was die Tierärzte nicht sagen, darauf weist Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe in einem Interview mit dem Deutschlandfunk hin: „Einige Tierarztpraxen haben sehr hohe Umsätze mit dem Verkauf von Antibiotika. Dies ist aus unserer Sicht ein Anreiz, um höhere Umsätze mit Antibiotika zu erzielen, zumal es dann auch Rabatte seitens der Pharmaunternehmen gibt für die Tierarztpraxen, die große Mengen absetzen.“ Diese Praxis gehöre abgeschafft: „Aus unserer Sicht ein Fehlanreiz, der auch dringend gestoppt werden muss.“

Antibiotika in der Tiermedizin

Verbot
 Der EU-Entwurf sieht vor, dass mehrere Antibiotika in der Tiermedizin verboten werden sollen – sie sollen Menschen vorbehalten bleiben. Auf der Liste stehen unter anderem sogenannte Fluorchinolone, die zu den Reserveantibiotika zählen. Ziel ist, die Gabe von Antibiotika zu reduzieren.

Mengen
Seit 2011 hat sich der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung mehr als halbiert; 2019 wurden 670 Tonnen abgegeben. Die Mengen der für die Therapie beim Menschen besonders wichtigen Fluorchinolone und Cephalosporine der 3. und 4. Generation sanken 2019 auf den niedrigsten Wert seit 2011 (Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit).