Göppingen - Was Marcel Schiller von diesem Superspreader-Event mitnimmt? „Schwer zu sagen, ich muss das erst einmal sacken lassen, aber Stand jetzt möchte ich die Zeit trotz allem nicht missen“, antwortet der Handball-Nationalspieler. Die Auswahl des Deutschen Handballbunds (DHB) absolvierte am Dienstag ihr EM-Abschiedsspiel gegen Russland, Schiller war schon am Montagabend wieder zu Hause. Der Krankentransport der Johanniter brachte den Linksaußen und seinen Frisch-Auf-Teamkollegen Sebastian Heymann aus Bratislava die 680 Kilometer zurück nach Göppingen.
Die beiden gehörten zu den 15 positiv auf das Coronavirus getesteten Spieler im deutschen Team. Schiller befand sich sechs Tage in der slowakischen Hauptstadt in Quarantäne, Heymann steckte fünf Tage in seinem Hotelzimmer fest.
Wie man eine solche Zeit nicht vermissen möchte? „Zum einen hatten wir beide recht milde, schnupfenähnliche Verläufe, mit etwas Kopfweh und Halskratzen. Zum anderen war dieser einzigartige Zusammenhalt in der Mannschaft selbst in der Isolation spürbar“, betont Schiller. „Und für Deutschland zu spielen ist grundsätzlich einfach das Allergrößte“, ergänzt Heymann. Der Rückraumspieler kam in allen drei EM-Vorrundenspielen zum Einsatz, Schiller nur in den ersten beiden gegen Weißrussland und Österreich. Dann war auch er Teil des Coronaherds.
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Wie das Virus in die Mannschaft kam und warum es ausgerechnet das deutsche Team so extrem hart traf – am Dienstag ist der Präsident des Deutschen Handballbundes, Andreas Michelmann, nach seiner Heimreise von der Europameisterschaft positiv auf das Coronavirus getestet worden – darüber rätselt das Schwabenduo auch noch nach der Rückkehr in die Heimat. „Kein Mensch versteht das, wir haben das Hygienekonzept penibel eingehalten, nach einem positiven Schnelltest hat keiner mehr das Hotelzimmer verlassen“, sagt Schiller.
Sportgeräte wie Ergometer waren dort nicht erlaubt. Ob sie sich dennoch fit gehalten haben? „Der DHB stellte uns einen Sixpack mit vollen 1,5-Liter-Mineralwasserflaschen vor die Tür, die wurden in die Sporttasche gepackt und schon war ein leichtes, dosiertes Krafttraining möglich“, verrät der 23-jährige Heymann. Sein Teamkollege entspannte sich zudem mit Yoga. Bei anderen ging es nicht ganz so ruhig zu. Keeper Andreas Wolff habe seine Zimmer komplett umgeräumt und machte spezielle Torwartübungen. „Da bebte bisweilen der komplette Hotelflügel im 13. Stock“, erzählt Schiller mit einem Schmunzeln. Ansonsten schauten die Spieler häufig im Fernsehen die Australian Open im Tennis oder natürlich die Spiele der Handball-EM. Die meiste Zeit verbrachten sie am Handy – mit der Kommunikation mit Mannschaft, Freunden und Bekannten.
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Wie es für die beiden nun weitergeht? Fürs Erste hat sich Schiller bei Heymann einquartiert. „Wir haben das mit den Ärzten abgesprochen, ich wollte nicht daheim meine Frau und zwei kleine Kinder gefährden“, sagt der 30-Jährige. Zudem ist der CT-Wert bei beiden weit über 30, Getestete gelten ab dieser Grenze als nicht mehr ansteckend. Am Dienstag lag bei beiden aber noch kein negatives Testergebnis vor.
Solange verbringen sie die Zeit in Heymanns Wohnung in Göppingen. Schillers Frau Doro bringt morgens Brötchen, mit dem Abendessen versorgt die beiden Handballer ein Freund oder ein Vereinsmitarbeiter von Frisch Auf.
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Sobald ein negatives Testergebnis vorliegt, erfolgt ein ausgiebiger internistischer Check in den Alb-Fils-Kliniken in Göppingen. „Danach werden wir in Ruhe mit allen Beteiligen entscheiden, wann die Spieler wieder ins Mannschaftstraining einsteigen“, sagt der Sportliche Leiter Christian Schöne. Mit Torwart Daniel Rebmann kehrt ein weiterer deutscher Nationalspieler erst an diesem Donnerstag zurück. Der serbische Internationale Nemanja Zelenovic war ebenfalls positiv, Göppingens isländischer Nationalspieler Janus Smarason ist es noch aktuell und befindet sich in der ungarischen Hauptstadt Budapest in Quarantäne. Die Auswirkungen auf den für den 10. Februar geplanten Saisonstart beim Bergischen HC sind noch unklar. Eine komplette Verlegung des Beginns der Rückrunde wird unter den Vertretern der Handball-Bundesliga (HBL) aber derzeit diskutiert und scheint nicht ausgeschlossen. Bisher galt bei einzelnen Spielen die Regel, dass nur dann eine Begegnung verlegt werden kann, wenn 50 Prozent oder mehr der Vertragsspieler erkrankt sind. „Aktuell gilt der alte Stand, die Situation wird ständig neu bewertet“, sagt Schöne.
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Und wie schätzen die beiden coronageschädigten Nationalspieler die Lage ein? „Klar wollen wir so früh als möglich wieder zurück aufs Spielfeld, aber überstürzen werden wir garantiert nichts“, sagen Heymann und Schiller unisono.
Schließlich wollen sie nicht ihre Gesundheit gefährden, sondern auch mit der Nationalmannschaft noch Erfolge feiern – bei einem großen Turnier, das nicht als Superspreader in die Geschichte eingeht.