Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, wirft der CSU in der Flüchtlingspolitik Zynismus vor. Für die Kanzlerin und ihren Umgang mit dem Mädchen Reem zeigt sie hingegen Verständnis. Merkel sei ehrlich geblieben.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)
Stuttgart - Den Ruf von CSU-Chef Horst Seehofers nach „rigorosen Maßnahmen“ gegen Asylmissbrauch hält Katrin Göring-Eckardt angesichts brennender Flüchtlingsheime für menschenverachtend. Die Fraktionschefin der Grünen rät der CDU dringend, das Thema aus dem Wahlkampf zu halten.
Frau Göring-Eckardt, Angela Merkel hat Kritik einstecken müssen dafür, wie sie in einer TV-Sendung mit dem Flüchtlingsmädchen Reem umging. Hat sich die Kanzlerin richtig verhalten?
Es war eine schwierige Situation für Frau Merkel, und sie ist dabei ehrlich geblieben. Auch wenn der Versuch, Reem zu trösten, etwas unbeholfen gewirkt haben mag: sie hat dem Mädchen keine falschen Hoffnungen gemacht, sondern auf die Rechtsstaatlichkeit verwiesen. Allerdings hilft das natürlich nichts, wenn die Flüchtlingspolitik insgesamt falsch läuft.
Frau Merkel hat dem Mädchen gesagt: „Nicht alle (Flüchtlinge) können bleiben.“ Würden Sie den Satz unterschreiben?
Natürlich. Aber alle haben ein Recht darauf, dass sie einen Antrag auf Asyl stellen können und der rechtsstaatlich geprüft wird. Die Frage im Fall Reem ist doch, wie wir mit Flüchtlingen umgehen, die sehr gut integriert sind. Da gibt es einen ersten kleinen Schritt: Wer vier Jahre da ist und gut integriert, der kann bleiben. Wir Grüne schlagen vor, dass es die Möglichkeit eines Statuswechsels gibt: vom Flüchtling zum Einwanderer. Das wäre auch ein Element für ein Einwanderungsgesetz, das wir fordern.
Ist es in der angespannten Lage nicht wichtiger, praktische Hilfe zu organisieren als über ein Einwanderungsgesetz zu diskutieren?
Wir müssen unterscheiden zwischen Einwanderern und Flüchtlingen. Bei der Einwanderung müssen wir für längere Zeit planen. Wenn im Ausland wieder – wie in den 90er Jahren – der Eindruck entsteht, dass man in Deutschland als Neuankömmling nicht in Ruhe leben kann, dann haben wir bei denen, die wir für uns gewinnen wollen, schon verloren. Bei den Flüchtlingen müssen wir schnell konkret handeln.
Mit welchen Maßnahmen?
Dass der Bund nur fünf Prozent der Kosten übernimmt, Länder und Kommunen aber den Rest, führt zu der schrecklichen Lage, in die wir mancherorts geraten: Flüchtlinge werden in Zelten untergebracht, weil Liegenschaften fehlen. Kommunen fragen sich, ob sie das Freibad schließen müssen, weil sie das Geld für die Flüchtlingsbetreuung nicht haben. Je weniger die Kommunen unterstützt werden, desto mehr wird es Brandstifter geben und Idioten, die mit Worten zündeln.
Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat möglich gemacht, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer gelten. Sind die Grünen auch dabei, wenn nun weitere Balkan-Länder auf die „sichere“ Liste sollen?
Ich bin froh über die Verbesserungen, die Winfried Kretschmann erreicht hat, die Aufhebung der Residenzpflicht, bei der Gesundheitsversorgung und der Arbeitsaufnahme. Es gibt inzwischen bessere Lösungen als die Abschiebung, nämlich die freiwillige Rückkehr. Da wird mit den Betroffenen gesprochen, wie sie zurück in ihre Heimat kommen können. Den repressiven Ansatz mit Abschiebeknast und Flugzeugtransport unter Polizeibegleitung sollten wir uns schenken. Der Spruch, es müsse einfach mehr abgeschoben werden, ist reine Propaganda. Das ganze System der sicheren Herkunftsländer hat doch nichts gebracht. Aus diesen Ländern kommen heute nicht weniger Menschen als vorher. Der entscheidende Punkt ist: die Asylprüfung muss schneller gehen. Da muss der Bund seine Aufgaben erfüllen, mehr Leute einstellen und qualifizieren.