Die Helfer an der Ausgabestelle der Essener Tafel sind nicht Schuld an der Lage, die sie zu moralisch prekärem Handeln zwingt, meint unser Autor Götz Aly.

Berlin - Die Fakten sind bekannt: Die Essener Tafel wird von Jörg Sartor (61) – früher Bergmann, seit Jahrzehnten SPD-Mitglied – geleitet; derzeit schließt sie weitere Flüchtlinge aus, weil diese, überwiegend männlich, zuletzt rund drei Viertel der Nutzer ausmachten. Zum Teil hatten sie „mangelnden Respekt gegenüber Frauen gezeigt“, sich vorgedrängelt, hatten Helfer beschimpft und bewirkt, dass ältere Frauen, alleinerziehende Mütter und deren Kinder fernblieben. „Es ist ja nicht so“, erläuterte Sartor, „dass sich nur unsere Kunden nicht mehr wohlgefühlt haben, sondern auch unsere Mitarbeiter“.

 

Wie man aus Erfahrung oder Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ weiß, stößt Hilfe für die Armen häufig an die Grenzen der Missgunst und des Egoismus. Am Ende lässt Brecht seine zwischen Helfenwollen und eigenem Überlebenswillen zerrissene Heldin Shen Te sagen: „Die Hand, die dem Elenden gereicht wird, reißt er einem gleich aus.“ Derartiges kennen Entwicklungshelfer nur zu gut und alle die, die sich um Obdachlose, Flüchtlinge oder Hartz-IV-Abhängige bemühen. Auch heimische Bedürftige tun sich oft nicht als gütige Ausländerfreundinnen hervor.

Einige Kritiker leiden an „progressivem Realitätsverlust“

Angesichts dessen ist es höchst irritierend, wenn wohlbestallte Journalisten und Politiker über die von Jörg Sartor repräsentierten Helfer herfielen, sie als angeblich „objektive Rassisten“ brandmarkten, während in Parallelaktion Linksradikale Fahrzeuge des Essener Tafelvereins mit dem Wort „Nazis“ verunstalteten. Wer so redet und schreibt, leidet an progressivem Realitätsverlust und am Dünkel derer, die es sich mit sogenannter politischer Korrektheit gemütlich machen.

Allen voran gab Angela Merkel den maßlos überheblichen Ton vor. Mit ihrem gelegentlich leider hervorbrechenden, typisch politprotestantischem Übereifer verurteilte sie die Notmaßnahme der Essener Ehrenamtlichen als „nicht gut“, um wenig später mitzuteilen, sie wolle sich in Essen bald ein „realistisches Bild“ machen. Mit Recht fragte Jürgen Kaube in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Ist der Kanzlerin „schon einmal der Gedanke gekommen, dass man sich besser zuerst ein realistisches Bild machen sollte, bevor man über RTL denen, die in der Wirklichkeit leben, Zensuren erteilt?“

Die Gegenwehr der ehrenamtlichen Helfer ist verständlich

Immerhin hat die Kanzlerin mittlerweile den Essener Oberbürgermeister angerufen. Man kann von Horst Seehofer halten, was man will, jedoch fand er – nicht zuletzt der Kanzlerin konternd – passende Worte zum Vorgehen der Essener Tafel: „Das ist ja ein Hilferuf von Menschen, die sich um Mitmenschen kümmern. Und ich würde uns Politikern empfehlen, solche Dinge nicht zu kritisieren, sondern miteinander zu überlegen, wie man denen, die diese Hilferufe absetzen, helfen kann.“

Aus Nordafrika, Eritrea, Syrien oder Afghanistan geflüchtete junge Männer brachten die Arbeit der Essener Tafel aus dem Gleichgewicht. Sie leiden nicht an Hunger, aber stehen unter dem Druck ihrer Familien, möglichst viele Euros nach Hause zu schicken. Deshalb nutzen sie das Angebot der Tafeln möglichst extensiv. Das kann man verstehen. Aber ebenso verständlich ist die Gegenwehr der ehrenamtlichen Helfer. Anders als die Bundesregierung haben sie die Situation nicht zu verantworten, die sie zu moralisch prekärem Handeln zwingt. Sie wehren sich um ihrer guten Sache willen.