Gold in München Der einzige Olympiasieger von 1972 aus der Region Stuttgart

Im Trophäenzimmer: Jürgen Colombo mit der Goldmedaille von den Olympischen Spielen 1972 in München. In unserer Bildergalerie Aufnahmen von damals. Foto: Baumann

Radsportler Jürgen Colombo triumphiert bei den Sommerspielen vor 50 Jahren mit dem Bahnvierer. Gold prägt seither sein Leben.

Jürgen Colombo gehört nicht zu denen, die mit ihren Erfolgen prahlen, sofort ihre Trophäen präsentieren, in den alten Zeiten leben. Journalisten, die den früheren Radsportler in Fellbach-Oeffingen besuchen, werden erst mal auf die Terrasse gebeten und mit einem Glas Wasser versorgt, ehe der Redefluss beginnt. Colombo, der an diesem Freitag 73 Jahre alt wird, hat eine Vorliebe für Piratenkopftücher. Doch seine Schätze zeigt der Freigeist erst, wenn man ihn nachdrücklich darum bittet.

 

Deutschland belegte Platz vier im Medaillenspiegel

Dann geht es ins Zimmer nebenan, das wie ein kleines Museum wirkt. An der Wand hängen Trikots und Bilder, in einem großen Rahmen sind Medaillen und Fahrerlizenzen aufgeklebt. Im Regal steht neben Sportbüchern ein Stück Holz von der Radrennbahn in München, auf der Colombo 1972 mit dem Bahnvierer Olympiasieger wurde. Logisch, dass die Goldmedaille, die sein Leben prägte, im Raum der Erinnerungen einen besonderen Platz einnimmt. „Dieser Erfolg begleitet mich seit 50 Jahren“, sagt Colombo, „er hat sehr viel verändert – im positiven Sinn.“

Im Medaillenspiegel der Heimspiele hat die Bundesrepublik Deutschland Rang vier belegt. Für die Gastgeber gab es 13-mal Gold, aber nur an einem Triumph war ein Athlet aus Stuttgart maßgeblich beteiligt. Und das kam selbst für ihn ziemlich überraschend.

Ein brisanter Endlauf im Halbfinale gegen Großbritannien

Jürgen Colombo litt unter Asthma bronchiale, vor allem im Frühjahr hatte er oft Probleme beim Atmen. Weshalb der Zug zu den Olympischen Spielen beinahe ohne ihn abgefahren wäre. Als Ersatzmann sprang er gerade noch auf, um dann im Sommer Tempo zu machen. Im Training fuhr er so gut, dass Gustav Kilian, der legendäre Coach des Bahnvierers, zu ihm sagte: „Ich wusste gar nicht, dass du so schnell sein kannst.“ In München folgte ein Ausscheidungsfahren. Es gab fünf Radler, vier Plätze – und einen glücklichen Jürgen Colombo, der den Sprung ins Team schaffte. Der Rest ist Geschichte.

In der Qualifikation fuhren Udo Hempel, Günther Schumacher, Jürgen Colombo und Günter Haritz Bestzeit, das Viertelfinale war kein Problem. Im Halbfinale lag sechs Runden vor Schluss Großbritannien vorne, dann aber wendete sich nach einem Defekt von William Moore das Blatt. Weshalb es zu einem höchst brisanten Endlauf kam.

Keine andere Mannschaft war in der Lage, so eng hintereinander zu fahren

Vier Jahre zuvor hatte Mexiko-City einen Eklat erlebt. Dem bundesdeutschen Vierer war nach einer Berührung im Finale gegen Dänemark Olympia-Gold aberkannt worden – unter Beteiligung von Wettkampfrichtern und Jurymitgliedern aus der DDR. Leidtragende waren auch Karl Link, in München Co-Trainer von Gustav Kilian, und Udo Hempel. Im Finale 1972 ging es ausgerechnet gegen die DDR. „Wir waren Außenseiter“, erinnert sich Colombo, „aber es gab eine offene Rechnung.“ Sie wurde beglichen. Der BDR-Vierer gewann deutlich, und der knitze Schwabe meint heute: „Wir sind in München 16 Kilometer Vollgas gefahren – so leicht kann man Olympiasieger werden.“ Was natürlich nur die halbe Wahrheit ist. Höchstens.

Denn Bundestrainer Kilian, Spitzname „Der eiserne Gustav“, verlangte nicht nur harte Arbeit. Sondern auch Disziplin. Zum Beispiel beim Essen. Mit Gabel und Tablett schritt er durch den Speisesaal, halbierte bei seinen Radlern auch mal die Rationen. Und fragte sie: „Kennt ihr einen fetten Hund, der bissig ist?“ Die Fron und das Tüfteln an vielen Details (im Finale fuhren alle statt mit den üblichen 170- mit 167,5-Kurbeln) zahlte sich aus. Unter den Olympiasiegern befand sich kein überragender Einzelverfolger, doch Kilian formte ein echtes Team: Keine andere Mannschaft war in der Lage, so eng hintereinander zu fahren. „Wir waren“, sagt Colombo, „echte Viererspezialisten.“

Um 7 Uhr wurden die Radsportler geweckt, sollten zu einer Gedenkfeier

Colombo, dessen Vater Italiener war, wurde in Schlesien geboren, kam im Alter von acht Jahren mit seiner Mutter nach Leonberg, sprach kein Deutsch. Er war oft an der Solitude, wollte Motorradrennfahrer werden. Das gaben die Finanzen nicht her, weshalb er 1964 in Feuerbach mit dem Radfahren begann, ehe er zum Stuttgarter SC wechselte. Colombo, den sein Mentor Karl Link auf die Bahn brachte, war nie ein Trainingsweltmeister, brachte es aber in nur acht Jahren zum Olympiasieger. „Heute wäre das nicht mehr möglich“, sagt er und lacht. „Ein schönes Gefühl ist es trotzdem.“ Das vor 50 Jahren entsprechend gefeiert worden ist.

Nach dem Triumph am 4. September zogen die Radler los, nach Schwabing. Das Flair bei den Spielen war locker, fröhlich, stimmungsvoll, nun ließen es die Athleten laufen – ehe sie von der dramatischen Wirklichkeit eingeholt wurden. Als sie spät in der Nacht ins olympische Dorf zurückkehrten, hatte die Polizei alles abgeriegelt. Es gelang den Radlern zwar, ohne Akkreditierung in ihre Zimmer zu kommen, am Morgen aber folgte das böse Erwachen. Um 7 Uhr wurden sie geweckt, sollten zu einer Gedenkfeier. Erst jetzt erfuhren sie, dass ein Attentat auf das israelische Team verübt worden war. „Danach ist die Stimmung komplett gekippt“, sagt Colombo, „für uns war unbegreiflich, dass so etwas Schlimmes passieren konnte.“ Das Erbe von München hatte danach völlig unterschiedliche Aspekte.

Der politische Streit über die Entschädigungszahlungen für die Opfer dauerte 50 Jahre, München erlebte zuletzt bei den European Championships neue heitere Spiele. Und Jürgen Colombo? Fand sein Glück. Er fuhr noch sechs Jahre als Profi, drehte danach als Handelsvertreter weiter am Rad, sitzt immer noch drei- bis viermal pro Woche im Sattel. Neulich, als er bei einem Treffen der Medaillengewinner von 1972 in München war, kam er an einer Gedenktafel vorbei, die neben der Schwimmhalle steht. Auf ihr sind die Namen aller Gold-Gewinner verewigt. Neben Jürgen Colombo stand Udo Hempel und sagte: „Als Olympiasieger sind wir unsterblich.“

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