Was kann der deutsche Film? Der Golden Globe für Fatih Akin jedenfalls zeigt, wie gut deutsches Kino sein kann, kommentiert unser Kulturchef Tim Schleider.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Kürzlich gab’s mal ordentlich Krach von deutschen Filmregisseuren und Produzenten gegen die Filmfestspiele in Berlin. Wenn die Berlinale demnächst einen neuen Chef bekommt, las man da in einer flammenden Petition, sollte der aber gefälligst ganz dringend dafür sorgen, dass mehr deutsche Filme in den internationalen Wettbewerb und so zu Ruhm und Ehren kommen. Offen gestanden machte diese Petition einige Journalisten, die regelmäßig die Berlinale besucht hatten, etwas ratlos. Der aktuelle Berlinale-Chef Dieter Kosslick hatte nämlich eigentlich jedes Jahr deutsche Filme für den Wettbewerb nominiert. Und in aller Regel fielen sie dort just im internationalen Vergleich gnadenlos durch und spielten bei Ruhm, Ehr und allen Preis-Bären nie eine Rolle. Ist es jetzt aus Sicht deutscher Regisseure und Produzenten wirklich eine gute Idee, wenn auf der Berlinale der Zukunft dieses künstlerische Mittelmaß auch noch verdoppelt und verdreifacht würde?

 

2004 hat ein deutscher Film tatsächlich mal den Goldenen Bären gewonnen

Doch halt, seien wir nicht ungerecht! 2004 hat ein deutscher Film tatsächlich mal den Goldenen Bären gewonnen: „Gegen die Wand“ vom Hamburger Fatih Akin, damals gerade mal 30 Jahre jung. Diese Geschichte aus der deutsch-türkischen Lebenswelt ließ die Zuschauer tatsächlich geradezu geplättet wieder aus dem Kino kommen; sie war wild, ungehobelt, kraftvoll, energisch. Sie kümmerte sich nicht um Stereotypen und Sprechgebote. Sie teilte nicht sauber ein in Gut und Böse, sondern zeigte Menschen in all ihrer Widersprüchlichkeit und Anfechtbarkeit. Und gerade deswegen ließ sie den Zuschauer mitbeben, mitzittern und mitleiden bis zum letzten Bild. Warum, liebe Unterzeichner eingangs erwähnter Petition, nicht öfter solche Filme drehen? Dann klappt’s auch mal mit dem Bären.

Aber apropos Fatih Akin: Gerade erfreut der inzwischen 14 Jahre älter gewordene Regisseur uns Freunde des deutschen Films mit dem Gewinn eines Golden Globes für „Aus dem Nichts“ – und wird damit Favorit für einen Oscar Anfang März. Sein Erfolg bei den Kritikern in Amerika ist sehr bemerkenswert, weil so gar nicht damit zu rechnen war. In den USA ist Akin bisher weitgehend unbekannt. Seine Entscheidung, die Hauptrolle mit dem Hollywood-Star Diane Kruger (wäre das hier die „Bunte“, würden wir jetzt schreiben: „mit der Stilikone“) zu besetzen, galt unter den Filmbeobachtern in Übersee als PR-Coup und pures Kalkül. Und dann war da noch dieses Thema: ein Drama über die NSU-Terroranschläge – Deutschland, Deutschland, deine Nazis!

Akin kümmert sich nicht um Klischees und Sprechgebote

Aber dann klappt es doch mit dem Preis – und warum? Weil Akin auch diese schreckliche Geschichte wild, ungehobelt, kraftvoll und energisch erzählt. Er kümmert sich nicht um Klischees und nicht um Sprechgebote. Ihn interessieren keine Menschen, die nur gut oder nur böse sind, weil er nämlich nicht glaubt, dass es solche Menschen überhaupt gibt. Sein Blick auf den NSU-Terror ist keine Recherche nach Mittätern oder Mitschuldigen in der heimlichen Hoffnung, wenn man sie nur endlich finden und entlarven könnte, würde man womöglich den ganzen rechten Horrorspuk hurtig wieder los. Nein, Akin fragt nach den Opfern, wie sie nach all dem Geschehen in einer Gesellschaft eigentlich weiterleben können – in einer Gesellschaft wohlgemerkt, die sich doch selbst und insgesamt als Opfer hätte begreifen müssen. Aber just dies nicht tat.

So gut, und zwar künstlerisch gut, müssten mehr deutsche Filme sein. Weniger schon nach drei Minuten durchschaubar. Stattdessen: genauer, exakter, schmerzhafter. Und jetzt drücken wir unsere Daumen für einen Akin-Oscar, bis das Gelenk schmerzt. Ob die deutschen Filmemacher derweil bitte nochmal über ihre nächsten Projekte nachdenken? Danke!

tim.schleider@stzn.de