Wettbewerb der Komödianten im Stuttgarter Renitenz-Theater: Der Stuttgarter Besen geht 2019 nach Köln
Stuttgart - Es geht um den Besen am Dienstagabend im Renitenz-Theater. Zum 22. Mal. Gleich neben der Bühne stehen die urschwäbischen Trophäen in neuem Design: der goldene, der silberne, der hölzerne Besen und der Gerhard-Woyda-Publikumspreis, ebenfalls geformt wie für die Kehrwoche.
Die reinigenden Arbeitsgeräte recken so dynamisch und elegant ihre Borsten in die Höhe, dass Florian Schroeder, der virtuos, aufdringlich und pausenlos redende Moderator des Abends, sogleich ans Stuttgarter Autodesign denken muss. Mit 8 200 Euro insgesamt sind die Besen dotiert, gespendet von der Stadt Stuttgart. Der SWR ist vor Ort; später dann soll der Kampf um die Komik in Funk und Fernsehen kommen. Im Bühnenhintergrund grinst hämisch das große rote K, das Logo des Stuttgarter Kabarett-Festivals.
Vier Stunden lang werden die acht Kandidaten überbieten, werden im Rampenlicht schwafeln, schwadronieren, spotten, kalauern. Sie werden versuchen, in Haltung, Auftreten, Rolle, Körpersprache und Wortwitz eine Jury zu überzeugen, die mitten im Publikums sitzt: sieben ausgewiesene Kenner des Humors, angeführt von Lisa Fitz, der „Grande Dame des deutschen Kabaretts“ - so nennt sie Sebastian Weingarten, Intendant des Renitenz.
Die Jury wird sich zuletzt Zeit lassen. Jeder der acht Nominierten hat seinen Stil, seine Komik. Bumillo nennt sich der erste, der die Bühne betritt. Hinter seinem Künstlernamen verbirgt sich ein promovierter Germanist aus Rosenheim, und er widmet sich vor allem den sprachlichen Phänomenen, dem „Ö“ in der Werbung, blickt mit bayerischem Akzent auf die deutsche Mentalität und ihren Wandel.
Nora Boeckler, eine Schwäbin, die nach Köln floh, strahlt blond, verirrt sich in Selbstfindungskurse, begegnet rabiaten und esoterischen Schwangeren, verzweifelt an der digitalen Technologie und spricht die größte Angst ihrer Zunft aus: „Es wird nicht mehr lange dauern, dann übernehmen den Job von uns Komikern irgendwelche Witze-Roboter. Alexa zum Beispiel!“ Die Hamburgerin Helene Bockhorst indes wird ihres Lebens nicht froh. Sie wispert und träumt von Therapien, von Branchentreffs Gleichgesinnter, die Trübsal blasen und Psychopharmaka naschen. Christoph & Lollo schließlich kommen aus Wien, ein Duo mit Stimme und Gitarre, irrem Pathos, das, auf eigene Weise, der Tradition des Protestsongs anhängt. „Diese Stadt gehört längst nicht mehr uns“, singen sie empört.
Mit einem solchen Lied könnten sie in Stuttgart Erfolg haben. Allein, die Konkurrenz ist zu groß, die Talente, die im Renitenz um die Gunst von Jury und Publikum ringen, sind zu stark. Der Gerhard-Woyda-Publikumspreis, dotiert mit 1700 Euro, geht an den Berliner Osan Yaran, ein „Ost-Mane“, wie er sich nennt, „doppelt integriert zwischen Spreewaldgurken und Baklava“, einer, der sich über seine eigene Vaterschaft sehr freut: „Ich war früher in einer Battle-Rap-Gruppe“, jammert er in hohem, singenden Ton. „Heute bin ich in einer Bastelgruppe! Mit einer Frau, die Gudrun heißt! Wir treffen uns jeden Dienstag. Ich bring Käsestullen mit. Früher hab ich Gras mitgebracht!“
Das hölzerne Kehrgerät, dotiert mit 1 500 Euro, geht an an Torsten Schlosser, der in Leverkusen geboren wurde, nach Köln zog, sich zu seiner Homosexualität bekennt und sich, sehr langsam und mit ergrimmtem Blick, über die Ehe für alle beklagt. Die Trennungsrate in seinem Bekanntenkreis, sagt er, sei seit dieser Gesetzesreform sprunghaft gestiegen: „Die Heteros haben uns in ihre Falle gelockt!“ Schlosser wünscht sich außerdem, die AfD möge mit eigenem Wagen und einer besonderen Galionsfigur am Christopher Street Day teilnehmen.
Stefanie Kerker aus Karlsruhe fährt das Gegenprogramm. Sie ist die deutsche Frau in bravem Kleid und mit entschlossenem Gesichtsausdruck, die auf die Straße stürmt und zielstrebig Männer dazu animieren möchte, gemeinsam mit ihr die Menschheit vor dem Aussterben zu retten; sie spielt sehr schön Ukulele und singt mit der Stimme einer echten Chanteuse, hat Publikum und Jury augenblicklich auf ihrer Seite und wird mit dem silbernen Besen (2000 Euro) belohnt.
Besser macht es nur noch Simon Stäblein, geboren 1987 in Neustadt an der Saale. Auch er lebt mittlerweile in Köln. Hat er sich erst warm geredet, läuft er auf zu großer Form. Ziel seines Spotts sind die Marotten, Allergien und Perspektiven der eigenen Generation. Seit er im Renitenz auf der Bühne stand, weiß auch Stuttgart, dass die jungen Menschen von heute keine Hobbys mehr haben – „Die denken mittlerweile: Hobbys? Das sind doch Frodo und Sam aus dem Auenland.“ Für solche Beobachtungen und seinen eigenen launisch-frechen Ton bekommt er zu Recht den mit 3000 Euro dotierten goldenen Besen 2019.