Wie entwickeln sich Kinder, die mit einem digitalen Assistenten aufwachsen, auf alle Fragen sofort eine Antwort erhalten und jeden Medienwunsch erfüllt bekommen? Experten warnen vor allzu sorglosem Umgang mit Alexa und Co.

New York - Eigentlich klingt es wie der Traum aller Eltern: Ein digitaler Assistent, der sich um ihre Kinder kümmert und dabei nie Geduld und Fassung verliert. Doch es gibt auch schon warnende Stimmen, dass Googles Assistant und Amazons Alexa für Mütter und Väter Segen und Fluch gleichermaßen sein können.

 

Inzwischen bieten Amazon und Google auch Optionen, mit denen sich der Zugriff kontrollieren lässt und die von den Kindern eine gewisse Höflichkeit verlangen im Umgang mit ihren sprachgesteuerten Assistenten. Dennoch haben die Geräte namens Echo Dot und Google Home oft unerwartete Wirkungen.

Mary Beth Foster in Mint Hill, North Carolina, brauchte ein paar Tage, bis ihr auffiel: Die ersten Worte ihres Sohnes waren nicht „gaga“ oder „Mama“, sondern „OK Google“: „Mein Mann dachte, ich sei verrückt. Schließlich sagen Babys immer ‚gaga’, oder? Bis er dann hörte, wie er uns nachahmte, wie wir mit Google Home sprachen.“ Auch die vierjährige Tochter brachte dank digitalem Assistenten einiges durcheinander. Weil die Familie über Google Home auf Inhalte von Netflix, Amazon Prime und YouTube TV zugreift, fragte sie neuerdings „Mami, kannst du Google fragen, ob wir ‚Die Schöne und das Biest’ schauen können?“

Manche Eltern meiden die Geräte lieber

Erfahrungen wie diese haben dazu geführt, dass manche Eltern die Geräte lieber meiden. Suzanne Brown, Mutter von zwei Jungs im Alter von sieben und vier Jahren, verbannt Alexa aus ihrem Haus im texanischen Austin, solange die Kinder klein sind. Statt auf die allzu einfachen Antworten von Alexa zu vertrauen, geht sie lieber in die Bibliothek oder sucht zusammen mit ihren Kindern im Internet, um „ihre Neugier und ihre Kompetenz zur Problemlösung“ zu stärken.

Wer aber einen digitalen Assistenten zuhause hat, kämpft früher oder später mit folgenden Problemen:

- Antworten gibt es zwar recht schnell, doch diese können falsch oder unvollständig sein. - Viele Kinder akzeptieren eine einzige kurze Entgegnung als Antwort, ohne zu hinterfragen, wo die Informationen herrühren.

Andererseits ist es möglicherweise von Vorteil, wenn ein Kind eine Frage laut ruft, anstatt sie still in ein Gerät zu tippen: Dann können die Eltern sie hören und sich einschalten. Zudem ist es in manchen Haushalten eine willkommene Abwechslung, wenn ein Kind nicht in einen Bildschirm schaut (obwohl manche Geräte wie Echo Show einen Bildschirm haben, der Fragestichworte und Videos zeigt). Ohne Bildschirm müssen Kinder die Information akustisch verarbeiten, was „einen zum Denken anregen könnte, weil man das Visuelle nicht hat“, sagt Erin Boyd-Soisson, Professorin für menschliche Entwicklung und Familienwissenschaft am Messiah College in Mechanicsburg, Pennsylvania.

Digitale Assistenten frustrieren Kinder

Gleichzeitig könnten die digitalen Assistenten die Kinder frustrieren, weil sie ihre hohen Stimmchen nicht immer richtig verstehen, oder von der Ausdrucksweise oder Formulierung eines Kindes verwirrt sind. Eltern können dies nutzen, um einen besseren Sprachgebrauch und eine bessere Wortwahl zu fördern. Doch dabei müssen sie sich bewusst sein, dass die digitalen Assistenten „manche Dialekte anderen vorziehen“, sagt Shannon Audley, Assistenzprofessorin für Bildung und Erziehung am Smith College in Northampton, Massachusetts.

Wenn ein Kind mithilfe von Alexa Mathematikaufgaben löse, dann entwickle es keine eigenen Problemlösungsstrategien, sagt Audley. Eine Möglichkeit wäre, Schulkindern per Elternsteuerung in der Hausaufgabenzeit den Zugriff auf den Assistenten zu verwehren. Kleine Kinder müssten lernen, selbst durch ihre eigenen Methoden und ihr eigenes Denken Antworten und Informationen zu finden, sagt Boyd-Soisson.

Dies wird natürlich einfacher, je älter sie sind. Amber Norwood lebt mit zwei Kindern in Großbritannien. Sie findet es super, dass sich ihr achtjähriger Sohn mit Google und Alexa beschäftigt. „Er schaut eine Menge Videos über Raketen und Weltraum, fragt nach cooler Musik und kommuniziert mit Freunden aus der Schule“, schwärmt sie. Darüber hinaus eigne er sich Recherchekompetenzen an. „Er ist bereit für die Welt, in der er aufwächst. Ich bin Schriftstellerin, lehre Schreiben und liebe Bücher, aber ich habe auch das Gefühl, dass die Zukunft des Lernens so aussieht“, sagt sie. „Ich möchte ihm beibringen, es gut zu machen und kritisch zu sein.“

Sinnvolle, neugierige Interaktion wahren

Es ist zwar wunderbar, wie viel großartige Musik und Information in der virtuellen Wolke schwebt. Doch auf alles zugreifen zu können, kann auch zu Überforderung führen: „Im Frühling wohnten wir sechs Wochen bei meinen Eltern, während unser Haus renoviert wurde“, erinnert sich Jillian Kirby in Burlington, Vermont. Ihr Sohn im Alter von fast drei Jahren war begeistert, dass seine Großeltern Alexa im Haus hatten. „Hätten wir je überlegt, einen digitalen Assistenten ins Haus zu holen, dann hätte sich das mit dieser Erfahrung erledigt“, erzählt Kirby.

Bald nach seinem ersten Kontakt mit Alexa wurde der musikbegeisterte Junge „machthungrig und ungeduldig, und wollte immer sofort zum nächsten Lied springen, sobald es angespielt wurde“, erzählt sie. „Er brüllte immer: Alexa! Nächstes Lied!“ Es brauchte mehrere Wochen zuhause ohne einen digitalen Assistenten, um wieder ganze Alben anhören zu können. Ein ähnliches Problem ergab sich, als ihr Söhnchen mit Tablets oder Smartphones spielte, sagt Kirby. „Sowohl mit Alexa als auch mit Tablets wurde er total reizbar, und sein Verhalten unerträglich.“

Eine gute Erziehung im Zeitalter von Alexa und Google garantiert nach Einschätzung von Kinder- und Entwicklungsexperten die Fähigkeit der Eltern, trotz Maschine eine sinnvolle, neugierige Interaktion mit ihren Kleinen zu wahren. „Es gibt keine gute oder schlechte Technologie“, sagt Audley. „Es geht darum, wie wir sie einsetzen.“