Gottlob Heinrich Rapp (1761-1832) war eine Stuttgarter Legende. Anna Marie Pfäfflin hat sich in ihrer Doktorarbeit mit

Stuttgart - Als der Geheimrat Goethe im August und September 1797 das abseits der Zeitläufte liegende Stuttgart besuchte, machte er seinen Gastgebern ein schönes Kompliment: „Nun habe ich Tage hier verlebt, wie ich sie in Rom lebte.“ Dieser schwärmerische Satz läuft den Residenzschwaben bis heute hinunter wie Öl. Goethes verbrieftes Lob, gerne und oft zitiert, gilt seitdem als der schlagende Beweis dafür, dass die ältliche Stadt beim Neckar und am Nesenbach mit ihren 20 000 Einwohnern damals nicht gar so hoffnungslos verhockt und langweilig war, wie ihre Kritiker, zumal ihre zahlreichen Spötter, es immer wieder behaupten.

 

Doch wie kam der Genius Goethe zu seinem schmeichelhaften Urteil – Stuttgart in einem Atemzug mit Rom? Hinter seiner geglückten Stuttgarter Woche von 1797 steckte kein Geringerer als Friedrich Schiller. Der hatte den Besuch seines kongenialen Gesprächspartners aus Weimar avisiert bei seinem hiesigen Freund Gottlob Heinrich Rapp – damals schon der Motor und Mittelpunkt des kulturellen und geistigen Lebens in der Hauptstadt des Herzogtums Württemberg. Für Rapp, Jahrgang 1761, war es die höchste Ehre seines Lebens, den berühmten Goethe, Jahrgang 1749, in seinem Haus Stiftstraße 6, an der Ecke zur heutigen Königstraße gelegen, zu empfangen. Der prominente Gast würdigt seinen Gastgeber später als einen „thätigen Handelsmann, gefälligen Wirth und wohlunterrichteten Kunstfreund“.

Ein einflussreicher Bürger

Das Rapp’sche Haus, erst im Zweiten Weltkrieg zerstört, ist nicht allein durch Goethes Aufenthalt zur Legende geworden. Doch wie kam es dazu? Wer war dieser Gottlob Heinrich Rapp, in dessen vier Wänden nicht nur der Geheimrat verkehrte, sondern über Jahrzehnte hinweg viele Geistesgrößen schwäbischer und anderer Herkunft? Es ist merkwürdig, dass der Name dieses Kenners und Gönners der schönen Künste bis heute in der Stadtgeschichte einen guten Klang besitzt, denn die Literatur über ihn ist spärlich – besser gesagt, sie war spärlich: Jetzt, ein knappes Jahr nach Rapps 250. Geburtstag am 6. Februar 2011, hat die Kunsthistorikerin Anna Marie Pfäfflin diese Lücke endlich geschlossen.

Ihre Dissertation, alles in allem 658 Seiten, widmet sich intensiv diesem vielseitig begabten, einflussreichen und selbstlosen Stuttgarter Bürger. Über seine Person hinaus öffnet ihre Doktorarbeit den Blick auf die Kunst- und Kulturgeschichte Württembergs vom Ende des 18. bis hinein ins frühe 19. Jahrhundert. Es ist ein Kapitel der Stadtgeschichte wie man es – dem Geist und Sinn einer Promotion entsprechend – noch nicht zu lesen bekam.

Geschäftsmann und Kunstmäzen

Schwäbische Bildungsbürger von heute horchen auf, wenn sie den Namen Pfäfflin hören. Richtig, Friedrich Pfäff lin hat die wunderbaren „Marbacher Magazine“ zum Erfolg geführt, mehr noch, der leidenschaftliche Büchermacher hat dem Schiller Nationalmuseum und dem Deutschen Literaturarchiv in Schillers Geburtsort am Neckar über Jahrzehnte prägende Impulse gegeben, sich unter anderem mit Karl Kraus, Kurt Tucholsky und nicht zuletzt dem Hoppenlaufriedhof als literarischem Denkmal beschäftigt, wo Rapp und fast alle seine Freunde begraben sind.

Anna Marie Pfäfflin, die Kunstgeschichte, Germanistik und Europäische Ethnologie studiert hat, ist seine Tochter. Hier fällt der Apfel, ganz altmodisch gesprochen, wirklich nicht weit vom Stamm. Die frisch Promovierte sagte jetzt, bei der Präsentation ihres Erstlingswerkes: „In der Kunstgeschichte habe ich mich natürlich mit dem Bildhauer Johann Heinrich Dannecker beschäftigt. Der war Rapps Schwager – so bin ich auf ihn gestoßen und auf den interessanten Kreis der Künstler, die in seinem Haus ein- und ausgegangen sind.“

Im Laufe ihrer Arbeit habe sich „schnell gezeigt, dass Gottlob Heinrich Rapp, wie lange fälschlich angenommen, eben keine Nebenfigur war, sondern eine Hauptfigur.“ Rapps Lebenslauf in Stichworten: Der Sohn des Tuchhändlers Philipp Heinrich Rapp (1723–1783) ging auf das Gymnasium und machte im elterlichen Unternehmen eine kaufmännische Ausbildung. Früh unternahm er Bildungsreisen durch das damalige Deutschland, nach Frankreich und in die Niederlande. Als einem der wenigen Söhne von Stand in Stuttgart blieb ihm die „Zuchtanstalt“ des Herzogs Carl Eugen auf der Solitude und später hinter dem Neuen Schloss erspart. Mit nur 22 Jahren, nach dem frühen Tod des Vaters, musste er die Leitung des Rapp’schen Tuchgeschäfts übernehmen. Von da an entfaltete er sein Talent als Geschäftsmann wie als Kunstmäzen: Er führte die herzogliche Spiegelfabrik, die herzogliche Tabakhandlung, er leitet die Hofbank, den historischen Vorläufer der heutigen LBBW. Er war Privatmann und Beamter zugleich, volksnah und königstreu – eine seltene Mischung.

Ausstellungen im Neuen Schloss

Gottlob Heinrich Rapp, dessen Frau Eberhardine Walz im Laufe ihrer Ehe acht Kinder zur Welt brachte, wollte agieren, verwalten und gestalten: „Was soll der vollendete Künstler unter einem Haufen, der ihn nicht versteht? Es ist also eine wechselseitige Übung die erste Bedingung für das wahre Gedeihen des großen Bildungsgeschäfts.“ So lautet sein Kredo. Für Anna Marie Pfäfflin bedeutet dies „die Besserung des Menschen durch Geschmacksbildung“, auch „eine bürgerschaftliche Emanzipation vom Adel“. Rapp zeige „kein elitäres, sondern ein offenes, tolerantes Weltbild“.

Kein Zweifel, dieser aufgeklärte Geist war das, was man heute einen Bildungspolitiker nennen würde: ein reicher, unabhängiger Bürger, seiner Zeit weit voraus, der seine finanziellen Möglichkeiten an vielen Stellen segensreich einsetzte – frei von Geltungssucht oder dem Streben nach persönlichen Vorteilen auf Kosten anderer.

Mit dem Verleger Cotta gründete er das „Morgenblatt für gebildete Stände“ und die erste professionelle Steindruckerei nach der Erfindung des lithografischen Verfahrens. Er organisierte Kunstausstellungen im Neuen Schloss, beschrieb, akademisch vertieft, die exotischen Gärten seines Herzogs in Hohenheim. Er übte sich selbst als Landschaftsmaler, beriet den Hof in Kunstdingen, gründete den Stuttgarter Kunstverein und eine Kunstschule für interessierte Laien, er schrieb Kunstkritiken, ermutigte und förderte viele Künstler in für sie schwierigen Zeiten.

Rapp führte ein offenes Haus, er verkörperte den Mittelpunkt eines Netzwerkes aus Gleichgesinnten. Mehr noch, er wurde im Laufe der Jahre mit einigen seiner Freunde sogar verwandt und verschwägert: Der Bildhauer Dannecker wurde sein Schwager, Rapp war zugleich der Onkel des Dichters Gustav Schwab. Der Sohn seines Freundes Johann Rudolf Zumsteeg, Komponist und Hofkapellmeister, heiratete eine von Rapps Töchtern. Eine andere Tochter heiratete den Kaufmann und Kunstsammler Sulpiz Biosseree. Der besaß übrigens mit seinem Bruder Melchior jene großartige Kunstsammlung Alter Meister, die Gottlob Rapp anno 1827 für Stuttgart zu gewinnen suchte, nachdem sie jahrelang hier zu sehen gewesen war. Leider vergebens. Die bedeutsamen Werke bilden seither den Grundstock der Alten Pinakothek in München. Was die hiesigen Kunstkenner bis heute zu Recht bitter beklagen, war wohl die schwerste Niederlage des Kulturpolitikers Rapp. In Stuttgart sparte man (schon) damals an der falschen Stelle.

Treffpunkt der Carlsschüler

Im Rapp’schen Haus an der Stiftstraße verkehrten damals vor allem die ehemaligen Zöglinge der im Jahr 1793 aufgelösten Hohen Carlsschule: die Bildhauer Scheffauer und Dannecker, der Komponist Zumsteeg, der Architekt von Thouret, die Historienmaler Hetsch, Wächter und Schick sowie die Landschaftsmaler Harper und Steinkopf, ebenso der Kupferstecher Müller. Enge Kontakte pflegte Gottlob Rapp auch zu den Schriftstellern Ludwig Uhland, Jean Paul, Nikolaus Lenau und Ludwig Tieck, ebenso zum dänischen Bildhauer Berthel Thorvaldsen, der 1839 das Schillerdenkmal auf dem heutigen Schillerplatz schuf.

Aus Anna Marie Pfäfflins kluger Dissertation wird nun auch zum ersten Male deutlich, welche Wirkung von der so oft und heftig geschmähten Hohen Carlsschule in Wahrheit ausgegangen ist: Eine Gruppe ihrer hochbegabten Absolventen blieb zeitlebens eng verbunden, sie arbeiteten zusammen, bildeten sogar eine weit verzweigte Familie. Alle verehrten den Geheimrat Goethe sehr, weit mehr aber schwärmten sie für ihren einstigen Mitschüler Friedrich Schiller, der 1782 bei Nacht und Nebel nach Mannheim geflohen war, später jedoch wiederholt in seine alte Heimat zurückkehrte. Nicht zu vergessen: Cotta druckte Schiller und Goethe, Goethe wiederum lockte bei seinem Besuch anno 1797 den Baumeister Nikolaus von Thouret nach Weimar, gleichwohl nur mit mäßigem Erfolg. Danneckers Figuren gefielen dem Geheimrat über die Maßen, beim „Tonsetzer“ Zumsteeg bekam er „einige gute Musik zu hören“, wie er später urteilte.

Apropos Besuch. Neben dem fast lyrischen Vergleich zwischen Stuttgart und Rom berichtete Goethe hernach seinem Freund Schiller von einem unliebsamen „Wanzenabentheuer“ im Hotel Römischer Kaiser. Gottlob Heinrich Rapp soll darauf rasch reagiert und den hohen Gast zur Logis in sein Haus geladen haben. Historisch belegt ist das nicht, gleichwohl: durch die fulminante Doktorarbeit von Anna Marie Pfäfflin, wissenschaftlich fundiert und gut lesbar geschrieben, haben die historisch interessierten Zeitgenossen endlich Klarheit darüber, wer Gottlob Heinrich Rapp wirklich war, welche zentrale Figur seiner Zeit in der Stadtgeschichte. Im Jahr 1832 starben sowohl Rapp, Goethe als auch Cotta – es markiert auch für Stuttgart das Ende einer geistreichen Ära.

Anna Marie Pfäfflin, „Gottlob Heinrich Rapp – Goethes wohlunterrichteter Kunstfreund in Stuttgart 1761–1832“, Veröffentlichung des Stadtarchivs Band 107. 685 Seiten mit 101 Abbildungen. Hohenheim Verlag, 28 Euro.