Manche nennen den Bib Gourmand den Stern für Arme. Die Auszeichnung wird seit 20 Jahren verliehen. Wir haben uns umgehört, was die Auszeichnung des Guide Michelin den Gastronomen bringt.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgrat - Jede Werbung, die nichts kostet, ist die beste Werbung“, sagt Johanes Füller, Inhaber und Küchenchef des Gasthauses Cervus in Plochingen. Das kann eine gute Bewertung in der Presse sein, die Mund-zu-Mund-Propaganda von Gästen oder ein Bib Gourmand des „Guide Michelin“, dem „Stern für Arme“, wie Kurt Schienle vom Hotel Am Park in Leinfelden-Echterdingen die Auszeichnung salopp bezeichnet. Auch sein Restaurant hat seit Jahren einen Bib Gourmand mit dem „besten Preis-Leistungs-Verhältnis in Deutschland“. Was den Bib vom Stern unterscheidet: „Er nimmt die Schwellenangst“, sagt Füller. Bei Sternerestaurants würden die meisten Leute doch nur an „steif, klein, teuer“ denken.

 

Manche, die noch nie einen Blick in die rote „Bibel“ der Feinschmecker geworfen haben, glauben, darin wäre nur die Sternegastronomie vertreten. Im „Guide Michelin“ sind aber 2300 Restaurants und 1970 Hotels gelistet. Einige dieser Restaurants sind besonders hervorgehoben – mit einem Bib Gourmand, der in Deutschland seit 20 Jahren verliehen wird. 23 Bib-Lokale gibt es in der Region Stuttgart gegenüber 21 Sternerestaurants – und eine Adresse hat beides: Zum Hirschen in Fellbach mit einem Bib Gourmand für das Gasthaus oben und einem Stern für das Avui im Gewölbekeller.

Der klassische Guide verkauft sich mehr

Zusätzlich zum „Guide Michelin“, dessen inzwischen 51. Deutschlandausgabe vorliegt, ist zum zweiten Mal auch ein Extrabuch für den Bib Gourmand erschienen. Es ist, wie die Michelin-Sprecherin Nina Grigoleit sagt, „optisch gefälliger und leserfreundlicher“, weil nicht so klein und eng gedruckt. Zu den Verkaufszahlen äußert man sich im Hause Michelin traditionell nicht. Nur so viel: Der klassische Guide werde mehr verkauft, mit der Entwicklung des Bib-Guides aber sei man „sehr zufrieden“ und überlege, die Auflage zu erhöhen.

Die Ausrichtung der selbstverständlich guten Küche spielt für den Bib Gourmand keine Rolle. Sie kann traditionell, klassisch, modern sein, ob schwäbisch, international oder exotisch. Entscheidend ist vor allem das Preis-Leistungs-Verhältnis mit der magischen Grenze von inzwischen 37 Euro. Zu diesem Betrag, für den man in manchen Sternerestaurants nicht mal ein Hauptgericht bekommt, soll ein Menü mit Vorspeise, Hauptgang, Dessert möglich sein. Gilt eventuell ein einziges Alibi-Menü bei sonst weit höheren Preisen auf der Karte? Da muss auch die Unternehmenssprecherin beim Chefinspektor Ralf Finkenflügel – die 13 Tester werden in französischer Tradition Inspektoren genannt – nachfragen. Nein, der Gast müsse mehrere Kombinationsmöglichkeiten haben.

Für 37 Euro müssen drei Gänge möglich sein

Johannes Füller schaut auf seine Speisekarte und überschlägt, mit welchen Kombinationen er unter 37 Euro bleiben kann: etwa Maultaschensuppe, Kotelette vom Duroc-Schwein, Apfelküchle mit Vanilleeis – es geht! Und was „die beste Werbung“ betrifft: Einige steuerten das Cervus gezielt über die Michelin-App an, Geschäftsleute mit Messetermin oder auch Franzosen.

Ganz weit draußen, in Auenwald mit seinem nur wenige hundert Einwohner zählenden Weiler Däfern, kann so eine Hervorhebung im „Guide Michelin“ umso wichtiger sein. Und ja, auch Alexander Munz, der dort im Waldhorn seit 2006 auf sehr gutem Niveau kocht, was wie beim Cervus von uns als Tageszeitung zuerst erkannt wurde, habe dem Bib Gourmand schon manchen Gast zu verdanken. Über die App habe zum Beispiel Vincent Klink zu ihm gefunden.

Ein Testbesuch in Oberboihingen

Wir haben jetzt auch mal den Versuch gemacht und eine Adresse angesteuert, auf die wir ohne den Bib Gourmand nicht gestoßen wären: Zur Linde in Oberboihingen. Das Restaurant war mittags unter der Woche gut besucht, was sicher auch am attraktiven Tagesessen liegt. Wir wählten das Menü für 30 Euro und hatten sogar vier Gänge. Nach dem Gruß mit Brot zu Lachscreme und Griebenschmalz kam ein Ackersalat mit Radieschenstreifen, danach eine nicht zu sämige Kartoffelsuppe und als Hauptgericht: geschmorte Lammhaxe mit einem schönen Gemüsemix, Kartoffeln und eine wunderbare Sauce – beides schwabengerecht mit Extraportion für den Nachschlag. Und als Dessert: eine offene Tarte Tatin mit Vanillesauce, Maracuja-Sorbet und Riesling-Eis.

Keine Frage: Hier steht jemand am Herd, der kochen kann – und das tut Jörg Ebermann in der Linde schon seit 1982, seit 1990 ist er mit seiner Frau Heike auch Besitzer. Den Bib Gourmand hat er, seitdem es ihn gibt, seit 20 Jahren also. „Als junger Mensch war ich viel in Frankreich und Italien unterwegs“, weswegen sich auf Ebermanns Karte Steinbutt ebenso wie Rochenflügel findet. Zum regionalen „Hype“ hat er seine eigenen Ansichten. Wenn möglich, arbeitet er mit Produkten aus der näheren Umgebung, aber bei Geflügel zum Beispiel könne „nicht beständig die gleiche Qualität geliefert werden wie aus Frankreich“.

Die Ebermanns sind auch Weindorfwirte

Erst im Nachhinein ist uns aufgegangen, warum uns die Ebermanns irgendwie doch geläufig waren: Seit 2009 sind sie Wirte auf dem Stuttgarter Weindorf. Auch das ziehe nach jeder Saison Gäste an, sagt Heike Ebermann, „dann verläuft sich’s wieder“. Und was bringt der Bib? Manche würden am Wochenende extra von der Autobahn runterfahren, denn: „Sonst kommt niemand gezielt nach Oberboihingen.“

Stammgäste übrigens würden eher selten ein Menü wählen. Ähnliches kennt man nicht allzu weit entfernt in Köngen im Schwanen. „Aber damit nicht nur ein Rostbraten und ein Apfelschorle bestellt wird“, hat man ein Angebot, „das auch zu mehr Weinkonsum und vielleicht auch einem Kaffee hinterher“ animiere, sagt Patrick Domon. „Das ist attraktiver für uns“ – und für manche Gäste erst recht. Für 34,90 Euro kann man sich sein Menü mit drei Gängen aus der Karte selbst zusammenstellen. Dazu muss man wissen, dass der Gesellschafter und Küchenchef Patrick Domon, der seit 1999 im Haus ist, zuvor Sternekoch im Intercontinental in Genf war. Und so stehen auf der Schwanen-Karte zum Beispiel Wachtelbrust mit Rauchöl, Linsensalat und Kürbiskerndip oder Atlantik-Seeteufel mit Kartoffelnage, Safran-Fenchel-Kompott und Fettuccine. „Da möchten wir in Stuttgart auch mal hinkommen“, sagt Domons Schwager Marcel Benz, denn zum Familienunternehmen zählt neben Catering seit Juni 2016 auch die Pacht des Restaurants Plenum im Landtag.

In Stuttgart gibt es drei Bib-Lokale

Apropos Stuttgart: Hier gibt es drei Locations mit einem Bib Gourmand. Das Vetter ist seit 25 Jahren für seine Qualität bekannt, hat seit ein paar Jahren die Auszeichnung und ist immer gut besucht. Also, was bringt der Bib? „Gäste, die sowieso schon immer kommen, freuen sich sehr darüber“, sagt die Chefin Claudia Kiebele lachend. Und fügt hinzu: „Natürlich macht das die Köche und Betreiber stolz.“ Im Übrigen habe sie nichts dagegen, wenn sich das Publikum mehr durchmische, wenn Gäste von außerhalb und Wochenendtouristen ins Vetter kämen.

Dass es auch ohne Bib auf hohem Niveau geht, zeigt das Augustenstüble. Wir erinnern uns an einen Besuch für unseren Restaurantführer „10x10“, bei dem wir das Menü von der Tagestafel für 38 Euro wählten – nur einen Euro über der Bib-Schallmauer! Wir fragten danach die Chefin Sabine Oberkamm, die sagte, man richte die Preise eben nach dem Warenwert aus, egal ob man nun bei 36 oder 38 Euro lande. Und ein Blick in den klassischen „Guide Michelin“ zeigt: Das Augustenstüble steht ja drin, nur eben ohne besondere Hervorhebung durch das Schleckermaul des Michelin-Männchens, das Bib(endum) genannt wird.