Grabeskirche in Jerusalem Zoff am Heiligen Grab

Ostern in der Grabeskirche: Christen feiern mit Prozessionen und Messen, und entzünden das Heilige Feuer. Foto: AFP

Die Grabeskirche in Jerusalem zieht Pilger und Touristen aus aller Welt an. Mehrere christliche Gruppen teilen sie sich – das führt oft zu Spannungen. Mitunter gibt es sogar Schlägereien.

Jerusalem - Ach ja, die Holzleiter. Pater Athanasius atmet tief durch. In seiner braunen Mönchskutte steht er vor dem Eingang der Grabeskirche in Jerusalem, es ist kurz nach zehn am Morgen und schon über 30 Grad warm. Er schwitzt. Und jetzt soll er auch noch erzählen, was es mit dieser alten Leiter am Fenster mehrere Meter oberhalb des Eingangs auf sich hat. Pater Athanasius, der aus Texas stammt und seit 31 Jahren als Franziskaner-Mönch in Jerusalem lebt, hatte gehofft, dem Thema zu entkommen. Doch es hilft nichts: „Diese Leiter hat heute keine Funktion mehr“, erklärt er dann. Sie gehöre den Armeniern und die ließen sie seit mehr als 150 Jahren als Zeichen ihrer Souveränität über jenen Gebäudebereich stehen. „Eigentlich müsste sie entfernt werden.“

 

Schon vor dem Eingang wird deutlich, dass die Dinge in diesem Gotteshaus, einem der wichtigsten Heiligtümer der Christenheit, kompliziert sind. Ärger und Frust bleiben da nicht aus. Es kam schon zu Schlägereien unter Mönchen, manches Mal gingen sie mit Besen aufeinander los, auch die Polizei musste bereits einschreiten.

Sechs Glaubensgruppen beanspruchen Bereiche

Sechs christliche Konfessionen teilen sich das verschachtelte Bauwerk mit seinen vielen Stufen und Kapellen. Nach der Zerstörung durch den Fatimiden-Kalifen im Jahr 1009 wurde die Kirche von den Kreuzfahrern wieder aufgebaut. Nach einem Brand 1808 wurde sie restauriert. Alle sechs Glaubensgruppen beanspruchen hier bestimmte Bereiche. Die drei größten – die römisch-katholischen Franziskaner, die Griechisch-Orthodoxen und die Armenier – haben hier gar ihre eigenen Wohnräume. Die Kopten und die Syrisch-Orthodoxen haben Altäre und Kapellen, die Äthiopier leben auf dem Dach. Alle wollen sie diesem heiligen Ort, an dem der Überlieferung nach Jesus gekreuzigt wurde und begraben liegt, möglichst nahe sein. Am liebsten ein bisschen näher als die anderen.

Das führt zu Streitereien, seit jeher. Darum auch die Leiter am Fenster: Sie diente laut einer Überlieferung einst den Armeniern, um die Kirche über den Balkon zu verlassen. Denn die Treppe im Inneren der Kirche beanspruchten die Griechen – und die ließen die Armenier nicht passieren.

Die Leiter ist nur noch Statussymbol

Um Ärger wie diesen zu beenden und ein für alle Mal zu regeln, wer wo das Sagen hat, wurde 1852 der Status quo festgelegt: Die Zuständigkeiten, die zum damaligen Zeitpunkt herrschten, gelten bis heute und dürfen nur in Übereinstimmung aller vertretenen Kirchen verändert werden. Festgelegt ist seither, wann welche Konfession am Grab Jesu Gottesdienst feiern darf und dass die Griechisch-Orthodoxen sich um die Reinigung des Vorhofs und der Toiletten kümmern. Ihnen gehört auch das Katholikon, das Hauptschiff der Kirche, das nach dem Brand 1808 ummauert wurde. Was nicht allen gefällt. „Sie nimmt viel Licht weg“, sagt Vater Athanasius im Eingangsbereich der Kirche und zeigt auf die Mauer gleich hinter dem Salbungsstein. Doch am Status quo ist nicht zu rütteln.

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Der Status quo hat so einige Probleme gelöst. Seither dürfen die Armenier beispielsweise auch die Treppen der Griechen wieder betreten – die Leiter am Fenster wurde obsolet. Doch wie kommt es, dass diese nach mehr als 150 Jahren noch immer nicht verrottet ist? Ein Wunder? Oder eher ein Zeichen, dass sie hin und wieder ausgetauscht wird? Manche sind überzeugt, die Armenier wollten damit nur zeigen, dass dieser Bereich ihnen gehört.

Polizeieinsatz: Schlägerei zwischen Armeniern und Griechen

Streitereien bleiben bis heute nicht aus. Zum Beispiel darüber, dass bei der Prozession der Armenier am Grab Jesu stets ein Vertreter der Griechen anwesend sein muss. Warum? Weil der Status quo es so besagt. „Mit Logik hat das ja alles nichts zu tun“, erklärt Pater Athanasius, der für die Franziskaner die Abmachungen überwacht und Konflikte mit anderen Kirchenvertretern löst. Als die Armenier einmal ohne die Griechen mit der Zeremonie beginnen wollten, kam es zu einer Schlägerei, die Polizei musste eingreifen.

„Diese Kirche gleicht einem Ökosystem. Selbst die kleinste Veränderung bringt alles ins Ungleichgewicht“, sagt Pater Athanasius. Denn Empfindsamkeiten sind an diesem heiligen Ort, der seit dem vierten Jahrhundert Pilger aus aller Welt anzieht, besonders hoch. Jeder hat Angst, Macht und Zugang zu verlieren. Pater Athanasius aber betont immer wieder, dass man sich im Großen und Ganzen gut verstehe. In 98 Prozent aller Fälle, die es zu besprechen gilt, werde man sich einig.

„Früher sind die Leute hier auf allen vieren reingekrochen, vor lauter Ehrfurcht“

Am Eingang der Grabeskirche hat Türsteher Wajih Nusseibeh ein ganz anderes Problem: Eine junge Frau mit sehr knappen Hosen, die in das Gotteshaus möchte. Nusseibeh, ein kleiner Mann mit weißen Haaren, Schnurrbart und strengem Blick, sitzt auf einer Holzbank direkt am Eingang der Kirche und ruft auf englisch barsch: „Hello, hello, no shorts!“ Keine kurzen Hosen! Die Frau verdreht die Augen, rupft wütend ein langes Tuch aus dem Rucksack, wickelt es um die Hüften und fragt pampig: „Besser so?“

Wajih Nusseibeh lässt das kalt. Seine Augen folgen weiter den reinströmenden Besuchermassen. Männer fordert er auf, ihre Sonnenhüte und Baseballcaps vom Kopf zu nehmen. „Früher sind die Leute hier auf allen vieren reingekrochen, vor lauter Ehrfurcht“, sagt er. „Heute kommen sie und wollen überall nur noch Bilder machen. Oder stehen rum und starren auf ihre Handys.“

Zwei muslimische Familien sind die Türwächter

Der 69-Jährige kennt sich aus. Er sorgt für Ordnung und ist verantwortlich dafür, dass die Tore morgens geöffnet und abends geschlossen werden. Wie vor ihm schon sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater. Wie weit die Tradition zurückreicht, ist nicht genau belegt. Die muslimische Familie Nusseibeh soll schon im Jahr 637 damit beauftragt worden sein, um Streitereien am Eingang unter den Christen zu vermeiden. Auch als Muslim sei ihm dieser Ort heilig, sagt Wajih Nusseibeh. Schließlich sei Jesus auch für Muslime ein Prophet, Maria tauche im Koran mehrmals auf.

Ohne eine weitere muslimische Familie kann aber selbst Wajih Nusseibeh die Tür zum christlichen Gotteshaus nicht öffnen. Der 30 Zentimeter lange Schlüssel für die Tür befindet sich nämlich im Besitz von Familie Jehoud. Angeblich seit 1187. Wie und wann auch immer die Familien zu den Jobs kamen: Tatsache ist, dass sie heute hier zusammenarbeiten. Wie das geht, demonstriert Wajih Nusseibeh an der meterhohen, massiven Holztür: „Erst schließe ich hier unten auf, dann klopfe ich, von innen wird mir dann durch dieses Fenster in der Tür eine Leiter gereicht, auf die steige ich dann und öffne das Schloss hier oben.“

1000 Touristen täglich

Wie viele Touristen diese Eingangstore täglich passieren? 1000, schätzt Nusseibeh. Jedenfalls werden es immer mehr. Das bekommen auch die Kirchenvertreter wie Pater Athanasius zu spüren: „Viele der Tourguides beschweren sich über die langen Wartezeiten am Grab.“ Duzende Besucher stehen an diesem Vormittag rund um die Kapelle, die sogenannte Ädikula, und warten auf den Zugang zum Grab Jesu.

Lange Jahre musste die Kapelle nach einem Erdbeben von Stahlstreben gestürzt werden, war schwarz vom vielen Kerzenrauch. Die Glaubensgruppen konnten sich nicht auf Renovierungsarbeiten einigen. Bis sogar die israelische Polizei 2015 einschritt und die Kapelle für mehrere Stunden absperrte. Der Druck half: 2017 waren die Arbeiten abgeschlossen.

Heute scheucht ein mürrischer Grieche die Besucher in kleinen Grüppchen zum Grab – und nach wenigen Sekunden wieder raus. „Genug jetzt, raus da“, zischt er dann. Auch in der Grabeskirche, in der die Zeit scheinbar stehen geblieben ist und Veränderungen nur sehr, sehr langsam vonstatten gehen, muss es eben manchmal schnell gehen.

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