Bei Bauarbeiten für die ICE-Trasse ist auf den Fildern ein Kleingräberfeld mit menschlichen Knochen entdeckt worden. Mit einem DNA-Test wäre es theoretisch möglich, abzugleichen, ob es in der näheren Umgebung der Fundstelle noch Verwandte gibt.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Filder - Knochen um Knochen scharrt der Mann in der Latzhose das Skelett aus der Erde. Zwei Tage wird er mit diesen menschlichen Überresten zu schaffen haben. Das heißt, zwei Tage auf dem Bauch liegen und ein Gerippe freikratzen, das hier womöglich schon seit 4000 Jahren begraben liegt. Ob heute in der Gegend noch Nachfahren von ihm leben? Es ist das vierte Skelett, das gefunden wurde.

 

„Hast du da das Gebiss?“, fragt Jan König den Kollegen, der vor ihm auf dem Erdboden liegt und über Steine gelehnt vorsichtig zwei weiße Punkte freilegt. „Sieht gut aus“, sagt König. Er ist Grabungstechniker beim Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Und das, was er da gerade vor sich sieht, sind auf den ersten Blick die bisher am besten erhaltenen Zähne. Sollte es das DNA-Material des Skeletts hergeben, könnte rein theoretisch recherchiert werden, ob heute noch Nachkommen in der näheren Umgebung der Fundstelle auf den Fildern leben.

Steinhaufen sind entdeckt worden

Bei vorbereitenden Arbeiten für die ICE-Trasse des Projekts Stuttgart 21 sind vergangenes Jahr Steinhaufen entdeckt worden, die auf dieses Kleingräberfeld hindeuteten. Im Spätsommer 2017 waren Jan König und seine Leute das erste Mal vor Ort und haben sich die Sache genauer angeschaut. Ausgegraben und freigelegt wird nun seit März. Gerade einmal 30 bis 40 Zentimeter unterhalb des Pflughorizonts befanden sich mutmaßlich während der letzten vier Jahrtausende etliche letzte Ruhestätten unter dem Filderboden verborgen. „Das Besondere hier ist die Vielzahl der Gräber“, sagt Jan König. Bisher wissen sie von rund einem Dutzend. Ob sie schon alle gefunden haben, ist ungewiss.

Königs Arbeitsplatz ist zurzeit ein Acker zwischen Plieningen und Bernhausen. Am Feldrand steht ein Bauwagen, er ist Büro, Materiallager, Pausenraum und Unterschlupf bei schlechtem Wetter. Aber an diesem Vormittag brutzelt die Aprilsonne schon ganz gut. Im Bauwagen hockt deshalb keiner. Es gibt genug zu tun draußen auf dem Acker. Bis Ende April wollen sie fertig sein. Dann sollen die Gräber wieder zugeschüttet werden. Für andere geht die Arbeit dann erst los. Zum Beispiel für einen Anthropologen. Der kann, wenn es das Zahn- oder Knochenmaterial noch hergibt, Geschlecht, Alter, vielleicht sogar Krankheiten feststellen. Nicht aber den Zeitpunkt, zu dem der Tote einst begraben worden ist.

Manche wurden in einer Hockerbestattung begraben

Jan König geht davon aus, dass es sich um Funde aus der Bronzezeit handelt. Das war vor etwa 4000 Jahren. Es sind teils Bronzestücke, eine Art Broschen, in den Gräbern gefunden worden. Auf Beigaben aus Keramik wartet Jan König immer noch. „Die waren damals eigentlich üblich“, sagt er. „Das würde mir schon gefallen, aber man kann es nicht herzaubern.“ Bisher haben sie nur die Knochen, Steine und ein bisschen Bronze. „Das ist gerade unser Reichtum.“ Er hat einen Lageplan mit roten Flecken in der Hand. Die Flecken sind die Gräber, die sie gefunden haben seit März. Manche waren leer. In anderen lagen Knochen. Manche Skelette ruhten auf Steinplatten, andere in einer architektonischen Konstruktion aus Stein, die über die Jahrtausende in sich zusammengesackt ist. Manche wurden liegend begraben, andere in einer sogenannten Hockerbestattung. Das bedeutet, dass Arme und Beine angewinkelt waren. So auch bei dem Skelett, das Jan Königs Kollege gerade ausgräbt, von dem erst zwei Zähne und Oberschenkelknochen aus der Erde lugen. Und die Zähne sehen vielversprechend aus. „Was mich wundert, ist die Unterschiedlichkeit der Knochenerhaltung“, sagt Jan König. Offene Fragen gibt es also noch genügende.

Die menschlichen Knochen, die die Archäologen bisher gefunden haben, liegen in grauen Pappschachteln, nach Körperteilen sortiert eingetütet und beschriftet. „Fuß rechts“ oder „rechtes Bein“ steht auf den Plastiksäckchen, die aussehen wie Gefrierbeutel. So gehen sie zum Anthropologen. Bevor die Knochen in die Plastiktüten gewandert sind, hat Jan König sie an der Fundstelle fotografiert und anschließend eine 3-D-Ansicht davon am Rechner erstellt. Früher musste er solche Funde zeichnen, erzählt er. Das sei dank moderner Technik heute alles einfacher. Wobei ihm kein Computer helfen kann: die Knochen unbeschadet aus dem Grab zu lupfen. Sie sind so alt, da ist Behutsamkeit das oberste Gebot. „Sie sind sehr fragil“, sagt König.

Bahn: Kein Grund zur Besorgnis

Jan König ist zuversichtlich, dass sie Ende April wieder das Feld räumen. Sollten allerdings noch ein Dutzend weiterer Gräber in diesem Baufeld der Bahn gefunden werden, könnte sich der Zeitplan ändern. Doch darauf gibt es bislang keinen Hinweis.

Für die Deutsche Bahn sind die Funde im Filderacker kein Grund zur Besorgnis, wie ein Sprecher sagt. Die Bahn warte derzeit ohnehin auf ein Gerichtsurteil, um an jener Stelle auf den Fildern loslegen zu können. Und dass während Bauarbeiten etwas im Untergrund gefunden werden könnte, „gehört zum Alltag eines Bauträgers“, sagt der Bahn-Sprecher.