Viel größer hätten die Unterschiede zwischen den beiden Brautleuten nicht sein können: hier das katholische Dätzingen, dort das evangelische Döffingen. Aber, so der Döffinger Bürgermeister Albert Baur 1972, es handle sich ja auch nicht um eine Liebesheirat.

Grafenau/Weil der Stadt - Viel größer hätten die Unterschiede zwischen den beiden Brautleuten nicht sein können: hier das katholische Dätzingen, geprägt durch Johanniter und Malteserorden, dort das evangelische Döffingen, seit Jahrhunderten württembergisch. Und dazwischen das Schlachtfeld, auf dem im Jahr 1388 Graf Ulrich gefallen ist. Aber, so der Döffinger Bürgermeister Albert Baur im Vorfeld der Vereinigung der Dörfer 1972, es handle sich ja auch nicht um eine Liebesheirat, sondern vielmehr um eine reine Vernunftehe.

 

Das sieht auch Ewald Bien so, der damals als Dätzinger Schultes mit Baur den Zusammenschluss vorbereitete. Er wurde später erster Bürgermeister von Grafenau. Fast vier Jahre habe es gedauert, bis sich beide mit der Ehe abgefunden hätten: 1970 begannen die ersten Überlegungen, im Februar 1972 wurden die Bürger der beiden Gemeinden angehört.

Alternativen ausgelotet

Die Döffinger stimmten mit einer Mehrheit von 72 Prozent für den Zusammenschluss, im kleineren Dätzingen war man zögerlicher: Dort wollten nur 56,7 Prozent eine gemeinsame Gemeinde. Zum 1. September 1972 schließlich entstand das neue Grafenau, dessen Name auf die Geschichte beider Orte Bezug nimmt. Doch noch immer liebäugelten manche mit Alternativen zu dieser Zweisamkeit – der Zugehörigkeit zum großen Nachbarn Sindelfingen etwa.

Die Dätzinger hatten Sorge, zu kurz zu kommen

In Dätzingen hatten viele Bedenken, sie würden als Juniorpartner zu kurz kommen und wollten deshalb gerne die Nachbargemeinde Schafhausen mit ins Boot holen. Noch zwei Tage, bevor die Schafhausener im August 1973 über die Eingemeindung in Weil der Stadt abstimmten, erinnert sich Bien, habe er dort Flugblätter verteilt, um für einen Zusammenschluss mit Grafenau zu werben. „Das hat mir der Kollege Viebig sehr übel genommen“, sagt er und lächelt.

Und es half auch nichts: Die Schafhausener entschieden sich für Weil der Stadt. „Drei Arme gebet no koin Reicha“, bekam Ewald Bien damals zu hören. „Ich hätte eine Dreiergemeinde damals für die bessere Lösung gehalten“, meint er. Und dieser Ansicht ist der 72-Jährige auch heute noch. Seit 1909 haben die drei Gemeinden eine gemeinsame Wasserversorgung, 1964 kam eine gemeinsame Kläranlage hinzu: Wenn Schafhausen sich für Grafenau entschieden hätte, erklärt Bien, hätten sich die drei fortan den Aufwand der beiden dazugehörigen Zweckverbände sparen können – sie wären ganz im Haushalt aufgegangen. „Und das wäre wirklich eine echte Verwaltungsreform gewesen“, sagt Ewald Bien überzeugt.

Einige Fusionsbestrebungen

Schafhausen wollte lieber zu Weil der Stadt

Grafenau war nicht die erste neue Gemeinde im Kreis. Nachdem der Landtag 1968 das „Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden“ erlassen hatte, schlossen sich im Juli 1971 Nebringen, Öschelbronn und Tailfingen zu Gäufelden zusammen. Viele andere Orte haben sich meistens größeren Städten angeschlossen. Zeitgleich drohte den Großen Kreisstädten Böblingen und Sindelfingen noch die ungeliebte Fusion zu einem „Böbelfingen“ – bis 1974 der Staatsgerichtshof dem Land Formfehler im Verfahren nachwies.

Was Grafenau betrifft, blickt Bien zufrieden zurück: „Ich bin überrascht, wie gut sich inzwischen doch alles gefügt hat“, sagt er, „man ist zusammengerückt.“ Das sehe er auch auf den Festen. Bei denen sitze man an einem Tisch. Am Ende seiner 30-jährigen Amtszeit löste er schließlich noch ein 1972 gegebenes Versprechen ein – und baute die Wiesengrundhalle an dem Standort, der in der Vereinbarung zum Zusammenschluss festgelegt worden war. „Diese Halle war wirklich ein Segen.“