Das Kunstprojekt „Wände/Walls“ endet. Zum Abschluss bekommt das Ebelu ein riesengroßes Graffiti. Bis das Werk fertig ist, vergehen einige Tage.

Stuttgart - Der erste orangefarbene Streifen strahlt auf der grau abgestuften Grundierung. Weitere Balken, Zacken, Rechtecke in kräftigem Blau und anderen knalligen Farben sollen folgen, kunstvoll konstruktiv verwoben, bis die optische Täuschung perfekt ist. Bis Betrachtende das Gefühl beschleicht, die Wand würde aufbrechen – durch gerade mal vier explosiv anmutende Buchstaben: D-A-I-M. Der international renommierte Graffitikünstler steht just hoch auf einer Hebebühne, die über 100 Meter große Außenhaut des Eberhard-Ludwig-Gymnasiums in der Stuttgarter Ludwigstraße inspizierend. „Grundiert wird mit Fassadenfarbe“, beschreibt der gebürtige Lüneburger, der in Hamburg lebt und bürgerlich Mirko Reisser heißt. „Wenn es an Motiv und Buchstaben geht, kommen die Spraydosen ins Spiel.“

 

DAIM arbeitet in der Tradition des „Graffiti Writing“, also an Kompositionen, deren Basis der Künstlername ist. Aller Anfang ist indes die Konzeption. „Ich arbeite mit Rastern.“ DAIM zeigt einen Computerausdruck, auf dem das Werk – gestaltet in der für ihn charakteristischen, farbreichen Dreidimensionalität – minutiös ausgetüftelt ist. „Es nimmt die Umgebung auf, darf nicht in ihr untergehen, soll Akzente setzen.“ Entsprechend hat er die Reliefstruktur des Baus, die sich unterhalb des entstehenden „Murals“ befindet, in sein Konzept einbezogen.

Fertigstellung an Fronleichnam

An Fronleichnam soll das monumentale Werk fertig sein, wenn das Wetter mitspiele, so DAIM. Dass es an das Interimsgebäude des Ebelu kommt, ist Anne Vieth vom Kunstmuseum Stuttgart zu verdanken. Sie hat die Ausstellung „Wände/ Walls“ kuratiert, die an diesem Sonntag endet. In dieser geht es um die künstlerische Auseinandersetzung mit der Raumgrenze Wand – und damit auch um die Kunstform Graffiti. DAIM gestaltete für den Museumsglaskubus eine weithin sichtbare Fassadenarbeit im „3D-Style“.

Viel künstlerisches Graffiti in der Stadt

Nach dem Bonatzbau, dem Kunstmuseum und dem Stadtpalais, die alle von Graffitikünstlerinnen und -künstlern bespielt wurden für die Schau, wollte Kuratorin Anne Vieth noch ein Bindeglied im Stadtraum. „DAIM sagte mir, schön wäre ein Ort, der bleibt. Ein Graffiti muss in Raum und Zeit eingeschrieben sein.“ Der Kontakt zum Ebelu kam über Florian Schupp, der das Projekt „Farbe“ der Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft betreut. Auch wenn die Zahl der gesprühten Wandmalereien in der Landeshauptstadt noch überschaubar ist, so konnten über „Farbe“ in den vergangenen 15 Jahren einige Graffiti beauftragt werden, die triste Hausfassaden, Trafostationen, Haltestellen oder Pfeiler in nuancenreiche Kunstwerke verwandelte.

Schule ist begeistert

Dass DAIM ein bleibendes sichtbares Zeichen an der Ludwigstraße schafft, gefällt dem Ebelu-Rektor Mario Zecher und der Kunstlehrerin Annette Mohs. Es passe zur künstlerisch-humanistischen Tradition des im Jahr 1686 gegründeten Gymnasiums, sei nach Lockdown und Online-Unterricht der Blick nach vorne, so Zecher. Mohs hat die Kooperation mit DAIM und dem Kunstmuseum in ihren Kunstunterricht integriert: „Der Anlass über Graffiti, Farbenlehre, Sprayen, Dynamik, Kunst im öffentlichen Raum zu sprechen! Und es auch selbst zu tun.“ Das schätzen die Schülerinnen und Schüler. Aus der Oberstufe waren Elisabeth Adam, Mona Hadjiheidari, Minja Bosien, Jakob Löw und Lennard Langjahr gekommen, um vor der Kamera DAIM zu interviewen. Toll sei, dass Graffiti im Unterricht, auch als gesellschaftliches Phänomen, durchgenommen werde, hieß es. Und: „Einen solchen Künstler persönlich zu treffen, sein Werk an unserer Schule zu haben, ist super. Jeden Tag freuen wir uns darüber!“