Bei der Suche nach einer neuen Hall of Fame in Stuttgart scheint eine Lösung möglich, wenn die Beteiligten miteinander reden. Die StZ hat deshalb die Stadtverwaltung mit der Szene an einen Tisch gesetzt – und über Wände geredet, die erst noch zu bauen sind.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart – - Mit der Urban-Art-Serie in der Stuttgarter Zeitung ist Bewegung in die Suche nach neuen Sprayerflächen gekommen. Etliche StZ-Leser sind dem Aufruf gefolgt und haben private Wände zum Besprühen vorgeschlagen. Bei der Suche nach Flächen, die dauerhaft von den Sprayern genutzt werden sollen, scheint eine Lösung möglich – wenn die Beteiligten miteinander reden. Die StZ hat deshalb Claus-Dieter Hauck vom Tiefbauamt mit dem Graffitibeauftragten der Jugendhausgesellschaft, Florian Schupp, und dem Inhaber des Sprayerladens Third Rail, Patrick Klein, an einen Tisch gesetzt.

 
Herr Hauck, Herr Schupp, Herr Klein: Gibt es in Stuttgart zu wenige Sprayerflächen?
Schupp: Auf jeden Fall, für die Größe von Stuttgart reicht eine Hall of Fame nicht aus. Da machen sich die Leute die Mühe und besprühen eine Wand – und einen Tag später ist es weg. Früher gab es aber mehr Möglichkeiten, auch im Umland, etwa in Böblingen oder Sindelfingen. Aber auch Zwölfjährige sollen die Möglichkeit haben, sich auszuprobieren. Sonst drängen wir die in die Illegalität.
Hauck: Die Hall of Fame unter der König-Karl-Brücke liegt gut, da wird niemand vom Sprühen tangiert. Allerdings haben wir gesehen: Wenn es keine Regeln gibt, gibt es auch keine Grenzen für diese Flächen. Nur zu sagen: Wir suchen uns eine Fläche und schicken die Jugendlichen dort hin wird nicht reichen. Wände müssen betreut werden. Es braucht Flächen, auf denen Anfänger üben können. Und es gibt solche, die wir für die Gestaltung von Wandflächen zur Verfügung stellen. Dort sprühen Leute, die geübter sind. Man möchte ja auch ein positives Bild von Graffiti nach außen bringen.
Schupp: Das stimmt, das muss man trennen. Unsere Erfahrung ist: Wenn man den Leuten den Raum gibt, zeigt sich Graffiti von seiner schönsten Seite. Wenn man eine Fläche ausweist, muss das ja nicht für die nächsten 20 Jahre sein.
Klein: Von den einmaligen Projekten in den Unterführungen profitieren ein, zwei Sprüher und die Stadt, weil das schöne Bilder sind – aber die Szene profitiert nicht wirklich. Wenn es mehr Wände gibt, an denen regelmäßig gesprüht werden darf, organisiert sich die Szene selbst: dann sind hier die Profis und da eher die Anfänger.
Herr Hauck, Ihr Amt ist auch für die Entfernung von Schmierereien zuständig.
Hauck: Unser Thema ist auch die Sauberkeit und das damit verbundene Sicherheitsempfinden oder davon ausgehend eine Aufwertung des öffentlichen Straßenraums wie sie etwa bei verschiedenen Fußgängerunterführungen oder bei der Tiefgaragenzufahrt im Rossbollengässle im Westen praktiziert wurde. Die finden die Bewohner übrigens schön. Graffiti ist ein Teil der Stadtkultur. Jetzt versuchen wir, Räume zu finden, um dem mehr Freiraum zu bieten. Ich habe keine Patentlösung. Das A und O ist die Betreuung, damit die Sprayer nicht über die Wände hinaus sprühen.
Gäbe es denn genügend für Sprayer geeignete Wände?
Schupp: Man kann nicht irgendeine Wand nehmen. Aber es ist klar: Wenn man dem Ganzen einfach Raum gibt, entsteht Kunst.
Klein: Die Szene wartet auf Fortschritte. Ich höre regelmäßig die Klagen in der Hall of Fame. Vor wenigen Tagen haben wir dort im strömenden Regen gemalt, weil wir ein drei Tage altes tolles Bild nicht übersprühen wollten. Wir brauchen ein Zeichen, dass neue Flächen geschaffen wurden. Das würde auch zeigen: Es macht Sinn, sich an die Regeln zu halten.
 
Claus-Dieter Hauck, Florian Schupp und Patrick Klein im Gespräch
Claus-Dieter Hauck vom städtischen Tiefbauamt, der Graffiti-Beauftragte der Stuttgarter Jugendhaus-Gesellschaft, Florian Schupp, und der Inhaber des Sprayerladens Third Rail, Patrick Klein (von links) unterhalten sich über Sprayerflächen in Stuttgart. Foto: Zweygarth
 
Welche konkreten Wände wären geeignet?
Schupp: Die Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, sind nur für Einmalaktionen geeignet.
Hauck: Das Thema Erreichbarkeit und Sicherheit der Sprayer wird ein entscheidender Punkt sein.
Klein: Es gibt in Stuttgart so viele Bauzäune, die sind gut erreichbar und da könnte man gut sprühen.
Hauck: Es geht bei der Suche nach einer Fläche auch darum, ob man dem Thema Graffiti offen oder reserviert gegenübersteht. Über gestaltete Flächen wird da auch Akzeptanz geschaffen. Zu dem Bauzaun-Beispiel: Da wurde vor einiger Zeit schon angesprochen, dass man daran Holzplatten anbringt zum Üben. Ist das völlig aus der Welt?
Klein: Man kann Holzplatten ohne Probleme fünf Jahre lang aufstellen.
Schupp: Ich sehe beim Güterbahnhof in Bad Cannstatt Potenzial.
Klein: Man könnte statt der Holzplatten am Bauzaun eine eigene Wand aufbauen. Es gibt eine Art Lego-Betonstein, damit kann man problemlos Wände errichten. Die sind wetterbeständig und können bei Bedarf auch umgesetzt werden.
Schupp: Ich sehe da das größte Potenzial. Wir finden seit Jahren keine geeignete Wand für eine neue Hall of Fame – zumindest keine, die jetzt schon steht. Die Betonbausteine sind bezahlbar.
Klein: Und so eine Wand könnte innerhalb einer Woche stehen.
Die Augen der beiden Sprayer leuchten bei der Vorstellung einer eigens errichteten Sprayerwand. Überzeugt Sie der Vorschlag, Herr Hauck?
Hauck: Je einfacher sich die Lösung realisieren lässt, desto besser. Die von Ihnen beschriebene Betonwand braucht sicherlich auch ein Fundament, das muss man bedenken. Was stimmt: Es gibt in der Stadt Brachflächen, nicht nur das Güterbahnhofgelände in Bad Cannstatt.
Was kann die Stadtverwaltung tun, damit am Ende mehr Sprayerflächen stehen?
Hauck: Man darf nicht nur auf die Verwaltung schauen und sagen: Wir suchen jemand, der muss uns Vorschläge machen. Ich schaue auch auf die Jugendräte und den Bezirksbeirat. Sie kennen ihre Flächen im jeweiligen Stadtbezirk am besten. Da kommt es auf die Vorschläge an und darauf, ob die Randbedingungen geeignet sind und wie man die Vorschläge umsetzt. Man muss für Akzeptanz werben. Wenn das Bedürfnis da ist und auch eine Fläche zum Sprayen, dann kann man zu den Bezirksämtern und Bezirksvorstehern gehen. Der Wunsch muss auch ein Stück weit aus dem Bezirk heraus formuliert werden.
Schupp: Ich sehe das Tiefbauamt da nur unterstützend. Da sind Patrick und ich gefragt, also die Jugendhausgesellschaft und die Szene. Wir müssen die Vorschläge nehmen und damit vorsprechen in den Bezirken. Und das werden wir jetzt tun.

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