Grammy-Gewinner Warren Haynes spielt im Juli in Winterbach. Vorab hat er mit uns über Optimismus im Blues, Politik und seine wichtigsten Erinnerungen aus dem Tourleben gesprochen.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Warren Haynes gehört zu den Großen der amerikanischen Rockmusik – als Sänger, Gitarrist und Songwriter war er Teil legendärer Bands wie der Allman Brothers und Gov’t Mule (gesprochen: Government Mule). Am 12. Juli kommt der Grammy-Gewinner mit seiner Soloband nach Winterbach. Im Interview spricht er über emotionale Studioerfahrungen, die Magie von Liveauftritten – und warum sein neues Album trotz finsterer Zeiten überraschend optimistisch klingt.

 

Mister Haynes, Sie spielen am 12. Juli in Winterbach. Erinnern Sie sich als vielgereister Musiker überhaupt an Orte wie diesen?

Wir waren schon dreimal dort – allerdings mit Gov’t Mule. Ich habe es sehr genossen, in Winterbach zu spielen. Jetzt freue ich mich sehr darauf, mit meiner Soloband zu kommen. Das ist ein ganz anderes musikalisches Erlebnis. Meist bleibt bei so engen Zeitplänen kaum Gelegenheit, die Orte wirklich zu genießen. Aber ich weiß, wie schön es in Winterbach ist – ob wir diesmal mehr davon sehen, wird sich zeigen.

Wussten Sie, dass einer der Veranstalter ein echter Fan von Ihnen ist? Steffen Clauss, der Vorsitzende der Kulturinitiative, hat Sie seinen absoluten Lieblingskünstler genannt und als „wahren Gentleman“ bezeichnet.

Das ist sehr nett von ihm. Wir versuchen wirklich, für unsere Fans erreichbar zu sein. Besonders bei Auftritten im Ausland spüren wir eine große Wertschätzung dafür, dass wir den Aufwand auf uns nehmen, dort zu spielen. Und wir freuen uns natürlich selbst, an Orte zu kommen, an denen wir zum Teil noch nie waren.

Sie haben in vielen Teilen der Welt gespielt. Gibt es einen Auftritt, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Schwierige Frage. Vielleicht das erste Mal in Polen – wir hatten ein tolles Publikum, manche sind acht Stunden zum Konzert gefahren. Einer brachte rund 80 CD-Cover mit – vermutlich alles, woran ich je mitgewirkt habe. Ich habe alles unterschrieben, das hat fast eine Stunde gedauert (lacht). Ein paar Jahre später waren wir wieder dort – und der gleiche Mann kam wieder, mit noch mehr Sachen. Es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn jemand tausende Kilometer entfernt deine Musik liebt.

Gibt es einen Ort oder eine Bühne, auf der Sie unbedingt noch spielen möchten?

Ich habe noch nie in der Royal Albert Hall gespielt. Ich war mal dort – bei einem Eric-Clapton-Konzert – und es ist ein großartiger Saal. Ich kenne viele Liveaufnahmen von dort, aber ich hatte selbst noch nie die Gelegenheit. Das wäre ein Traum.

Ihre Soloalben unterscheiden sich stilistisch teils stark – das letzte war eher folkig, A Million Voices Whisper klingt stärker nach Soul. Wie entstehen diese Richtungswechsel?

Das passiert bei mir ziemlich organisch. Ich schreibe oft mehrere Songs in eine bestimmte Richtung. Und wenn ich merke, dass diese Musik nicht zu Gov’t Mule passt, denke ich: Es ist wohl wieder Zeit für ein Soloalbum. Sobald ich sechs bis acht Songs habe, die gut zusammenpassen, weiß ich: Daraus könnte ein Soloalbum werden.

Ihr neues Soloalbum klingt deutlich optimistischer als frühere Werke. Woher kommt das?

Das hat unter anderem mit dem Corona-Lockdown zu tun. In dieser Zeit hätte man natürlich sehr düstere, traurige, depressive Musik schreiben können. Aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Ich wollte Dinge aus einem neuen Blickwinkel betrachten, etwas in meinem Leben verändern und mich auf das konzentrieren, was ich am meisten liebe. Das hat sich nicht nur auf die Texte ausgewirkt, sondern auch auf die Musik. Ich wollte kein Album machen, das ich mir in fünf Jahren anhöre und mit einem schlechten Gefühl verbinde.

Mit seiner Band Gov’t Mule war Haynes schon dreimal in Winterbach. Foto: Jay Sansone

Und wie haben Ihre Fans auf diese neue Richtung reagiert?

Ich denke, die Reaktionen auf die neue Musik waren sehr positiv. Und ich glaube, weil ich im Laufe der Jahre so viele Alben gemacht und so viele Songs live gespielt habe, fügt das dem Gesamtbild einfach noch eine weitere Facette hinzu.

Was dürfen die Besucher des Konzerts in Winterbach konkret erwarten?

Bei unseren Liveshows spielen wir Stücke von all meinen Soloalben. Wir machen auch ein paar Gov’t-Mule-Songs und ein paar Allman-Brothers-Stücke. So entsteht ein ziemlich vielfältiges Programm. Und jeder Abend ist ein bisschen anders – nicht ganz so variabel wie bei Gov’t Mule, weil diese Band nicht über ein so großes Repertoire verfügt. Aber wir spielen trotzdem jeden Abend eine andere Setlist. Es tut gut, die Dinge für uns selbst frisch zu halten – und das spürt, glaube ich, auch das Publikum.

Haben Sie einen Lieblingssong auf dem neuen Album?

Das ist schwer, weil ich wirklich alle Songs mag. Aber „Real, Real Love“ liegt mir besonders am Herzen. Es war mir eine große Ehre – und zugleich ein bittersüßes Gefühl – diesen Song zu beenden. Gregg Allman [2017 verstorben, Anm. d. Red.] hatte ihn vor Jahren angefangen. Derek Trucks spielt auf der Aufnahme mit, was dem Ganzen eine besondere Tiefe verleiht. Ich finde, Greggs Geist ist in dieser Version sehr präsent.

Sie arbeiten oft mit anderen Musikern zusammen – was reizt Sie daran?

Ich habe das große Glück, von einem Freundeskreis umgeben zu sein, der fast wie eine musikalische Familie funktioniert. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, mit jemandem zu arbeiten, den man schätzt, ist das immer etwas Besonderes. Zum Beispiel hatte ich mit Lukas Nelson und Jamey Johnson schon bei der „Last Waltz“-Tour gesungen. Als wir später gemeinsam „Day of Reckoning“ geschrieben haben, war klar: Wir müssen diesen schönen, dreistimmigen Harmoniegesang festhalten – und Lukas hat auch noch eine wunderschöne Gitarrenspur beigesteuert.

Auch Derek Trucks ist auf „A Million Voices Whisper“ mit dabei.

Ja, wir haben gemeinsam zwei Songs geschrieben. Es war schön, unsere Studio-Zusammenarbeit zu vertiefen. Diese besondere Chemie, wie sie zwischen uns herrscht, ist selten – umso schöner, wenn sie sich entfalten kann.

Gab es in Ihrer Karriere eine Zusammenarbeit, die für Sie besonders bedeutsam war?

Natürlich waren alle Kooperationen mit den Allman Brothers etwas ganz Besonderes. Aber auch die Arbeit mit all den verschiedenen Bassisten nach dem Tod von Allen Woody [Bassist der Allman Brothers und von Gov’t Mule, Anm. d. Red.], als wir das Doppelalbum The Deep End mit Gov’t Mule aufgenommen haben, war eine außergewöhnliche Erfahrung.

Allen war gerade gestorben, und wir waren noch mitten in der Trauer. Wir haben all seine musikalischen Helden ins Studio eingeladen. Und so nahm jeden Tag ein anderer legendärer Bassist Allens Platz ein. Es war ein bittersüßes Gefühl – rückblickend der einzige Weg für uns, weiterzumachen. Die Erinnerungen an diese Zeit sind sehr emotional – auch, weil viele der beteiligten Musiker heute nicht mehr leben.

Die Zeit vergeht schnell. Gibt es jemanden, mit dem Sie gerne noch spielen würden?

Paul McCartney – das wäre fantastisch. Oder Neil Young, obwohl wir viele gemeinsame Freunde haben und es irgendwie nie dazu kam. Auch Mark Knopfler oder Tom Waits fände ich spannend. Aber ich hatte schon so viele besondere Begegnungen, da will ich mich nicht beschweren. Solche Dinge lassen sich ohnehin nicht planen – sie passieren oder eben nicht.

Würden Sie sich eher als Live-Musiker oder als Studiomusiker bezeichnen?

Wenn ich wählen müsste, würde ich Live-Auftritte bevorzugen. Studioarbeit ist schön, aber oft mühsam. Live dagegen – zumindest an guten Abenden – fühlt es sich gar nicht wie Arbeit an.

Manche Musiker haben auf Tour ja ausgefallene Wünsche – womit können die Gastgeber in Winterbach Sie glücklich machen?

Ach, da sind wir unkompliziert. Jeder im Team hat andere Vorlieben beim Essen und Trinken, aber wir sind da ziemlich entspannt. Ich weiß, dass Winterbach eine Weingegend ist – ich selbst bin zwar kein Weintrinker, aber andere aus der Band haben daran sicher Freude.

Wir leben in turbulenten Zeiten, in den USA wie in Europa. Sehen Sie Musiker in der Pflicht, sich politisch zu äußern?

Meine Sichtweisen fließen oft in Songtexte ein – wer genau hinhört, versteht, wie ich denke. Öffentlich spreche ich darüber selten. Musik soll Menschen verbinden, Freude bringen und für einen Moment von den harten Realitäten ablenken. Trotzdem: Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft – in den USA und weltweit. Vielleicht schreibe ich deshalb heute positivere Songs. Denn: Wenn wir auf die Politik warten, wird sich nichts ändern. Wir selbst müssen die Welt besser machen – füreinander und für uns selbst.

Vielseitiger Künstler

Leben
Warren Haynes zählt zu den einflussreichsten Gitarristen und Songwritern der amerikanischen Rock- und Blues-Szene. Berühmt wurde er als Mitglied der Allman Brothers Band, später gründete er Gov’t Mule. Der Grammy-Gewinner hat mit Künstlern wie Eric Clapton, David Gilmour, Bob Dylan und den Grateful-Dead gearbeitet. Als Solokünstler ist Haynes sehr vielseitig – irgendwo zwischen Southern Rock, Soul, Folk und Blues.

Konzert
Am Samstag, 12. Juli, spielt Warren Haynes mit seiner Soloband in der Salierhalle Winterbach. Im Gepäck hat er Songs von seinem neuen Album „A Million Voices Whisper“, aber auch viele andere Stücke. Das Konzert beginnt um 20 Uhr, Karten kosten im Vorverkauf 54 Euro.