Wer beim Wort „Comic“ nur an harmlos-witzige Bildergeschichten denkt, liegt falsch. Das beweist die Galerie Stihl Waiblingen von Freitag an mit ihrer Ausstellung „Graphic Novels“. Sie zeigt Originalzeichnungen aus Comics mit literarischem Anspruch.

Waiblingen - Wer möchte, kann sich in einen Sessel setzen und mitten in der Galerie Stihl nach Herzenslust in einem Comic-Roman schmökern. Um letztere dreht sich nämlich die neue Ausstellung des Waiblinger Kunstmuseums mit dem Titel „Graphic Novels“, die am Freitagabend um 19 Uhr eröffnet. Das Hauptaugenmerk liegt dabei freilich weniger auf den fertig gedruckten Comic-Bänden im Regal als auf den knapp 300 Exponaten, die an den Wänden ringsum hängen: Originalzeichnungen, Skizzen, Storyboards und Drucke von 17 zeitgenössischen Comiczeichnerinnen und -zeichnern aus dem deutschsprachigen Raum.

 

Vom Serienmörder zum Rockstar

Sie alle demonstrieren, welche Bandbreite an Themen in den Graphic Novels – Comics mit literarischem Anspruch – behandelt wird. Wer mit dem Begriff Comic hauptsächlich harmlos-witzige Bildergeschichten verbindet, liegt falsch. Die in der Galerie gezeigten Graphic Novels behandeln historische Begebenheiten wie den wahren Fall des berüchtigten Serienmörders Fritz Haarmann ebenso wie die Lebensgeschichte des Rockstars Nick Cave, sie werfen einen satirischen Blick auf das schwierige Dasein als Künstler oder gehen der Frage nach, wie Drachen in die Welt gekommen sind.

Mal sind die Zeichnungen mit Bleistift, mal mit schwarzer Tusche oder in bunten Farben ausgeführt, mal kombiniert der Zeichner beides. Jakob Hinrichs etwa erzählt Hans Falladas Roman „Der Trinker“ in intensiv leuchtenden Farbbildern und verquickt diesen Erzählstrang mit Szenen aus dem Leben des Autors, der als Suchtkranker nur zu gut wusste, wie es seinem Romanhelden Erwin Sommer erging. Fallada, der eigentlich Rudolf Ditzen hieß, hat seinen Trinker-Roman im Gefängnis verfasst. Die Szenen, die davon erzählen, hat Jakob Hinrichs in gedeckten Blau- und Rottönen ausgeführt.

Reportagen in Comicform

Bedrückend realistisch sind die Reportagen in Comicform, welche Olivier Kugler beispielsweise für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ recherchiert und verfasst. Kugler begleitet Menschen auf ihrer Flucht, erzählt ihre Geschichten und Lebensumstände in großen Panoramabildern, die an Wimmelbilder erinnern.

Die Ausstellung spannt den Bogen vom US-Amerikaner Will Eisner, der den Begriff Graphic Novel in den 1970er-Jahren prägte, über einen Wegbereiter der Comic-Novels in Deutschland, den 2014 verstorbenen Grafiker Hans Hillmann mit seiner Arbeit „Fliegenpapier“, bis zu Zeichnerinnen wie Isabel Kreitz oder Antonia Kühn. Als Urvater der Comic-Bücher gelte allerdings der Schweizer Rodolphe Töpffer, sagt die Galerieleiterin Barbara Martin. Er habe mit „Dr. Festus“ bereits 1829 eine Parodie auf Goethes Faust verfasst, die Goethe nicht verärgerte, sondern begeisterte. Er habe Bildergeschichten eine große Zukunft vorhergesagt. Und siehe da: „Die Graphic Novel findet mehr und mehr Liebhaber und ist in der Hochkultur angekommen.“

Goethe war begeistert

Wobei ihre Fans mitunter einen langen Atem bräuchten, sagt Maximilian Lechler, der die zuvor im Oldenburger Horst-Janssen-Museum gezeigte Ausstellung für Waiblingen um einige neue Exponate ergänzt hat: „Comiczeichner sind absolute Perfektionisten.“ Bevor nicht jeder Strich sitze, stimmten sie einer Veröffentlichung nicht zu. Auch Anke Feuchtenberger beispielsweise, eine „Grande Dame und Vorreiterin“ der Graphic Novels, arbeitet schon seit acht Jahren an ihrem Buch „Ein deutsches Tier im deutschen Wald“, das sich mit dem Umgang des Menschen mit der Natur beschäftigt.

Auffallende viele Comic-Romane würden von Frauen verfasst, sagt Barbara Martin, die sich das so erklärt: „Die Recherchearbeit für eine Graphic Novel ist eine Geduldsprobe, die manch männlicher Kollege nicht aufzubringen bereit ist.“

Alles dreht sich um Bildergeschichten

Künstlergespräche
Das Schöne an einer Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst wie der aktuellen in der Galerie Stihl: etliche Künstler kommen zum Gespräch nach Waiblingen. So etwa am 16. Oktober, 18 Uhr, Isabel Kreitz, die mit dem Bleistift die Geschichte des Serienmörders Fritz Haarmann erzählt. Sie berichtet, wie eine Graphic Novel entsteht und verrät, was sie inspiriert. Am 7. November ist Jakob Hinrichs zu Gast, der Hans Falladas Roman „Der Trinker“ adaptiert hat. Der Rockstar Nick Cave und seine Songs haben Reinhard Kleist zu einer Graphic Novel inspiriert, die er am 8. Dezember bei einer Autorenlesung vorstellt. Eine Band liefert passende Lieder von Nick Cave.

Kunstkurse
Die Kunstschule bietet für Kinder einen Kurs im Manga Zeichnen (3. bis 5. Oktober) und veranstaltet eine Drachenparty, bei der eine Comic-Collage entsteht (20. Oktober). Jugendliche und Erwachsene haben am 10. November die Möglichkeit, einen Trickfilm zu machen. Der Berliner Künstler Henrik Schrat zeigt am 25. November, wie man an einem Tag einen Comic entwickelt.

Ausstellung
„Graphic Novels“ ist von 29. September bis zum 6. Januar in der Galerie Stihl Waiblingen, Weingärtner Vorstadt 12, zu sehen. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.