Bianca Klose kämpft gegen Neonazis – und fühlte sich jahrelang alleingelassen. Seit mehr als zehn Jahren leitet sie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin. Nun schauen die Menschen nicht mehr gelangweilt weg.

Berlin - Kann man sich an Morddrohungen gewöhnen? An den Hass im Internet, an die vielen Beleidigungen? Bianca Klose weiß schon seit einer ganzen Weile, wie sich das anfühlt, wenn Neonazis ihr Foto als Steckbrief ins Netz stellen. Wenn sie sich dann in ihren Kommentaren daran aufgeilen, sie auf die ein oder andere Weise zu töten. Eine Zeit lang dachte sie, es sei das Beste, darüber nicht zu reden. „Ich fand, sie zu ignorieren würde bedeuten, dass sie keinen Erfolg haben.“

 

An diesem Nachmittag sitzt die 39-Jährige in einem großen Saal im Berliner Parlament. Bianca Klose ist als Expertin vor dem Rechtsausschuss eingeladen. Die Politologin ist ein eher kühler, tougher Typ. Die blonden Haare hat sie zum Pferdeschwanz gebunden, sie trägt an diesem Tag einen seriösen Anzug. Unterm Jackett lugt ein dickes Lederarmband hervor, Piercings schmücken die Ohren. Von ihren Erfahrungen spricht sie manchmal so distanziert, als sei sie eine Forscherin, Emotionen lässt sie sehr bewusst außen vor – und auch die eigene Geschichte.

Auf der Feindesliste stehen Politiker, Journalisten, Bürger

Auf einmal hören ihr alle zu, schauen hin, wo sonst mindestens gelangweilt weggeschaut wurde. Auf einmal findet der Rechtsausschuss des Hauptstadtparlaments Zeit zu einer Expertenanhörung über den „Nationalen Widerstand“. Bianca Klose leitet seit mehr als zehn Jahren die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin. Sie berichtet über eine Berlinerin, auf deren Hauswand irgendeiner „9 mm for you“ gesprayt hat – die Abkürzung für ein Munitionskaliber. Die Frau ist eine von etwa 200 Menschen, die im Internet auf einer Feindesliste der Berliner Neonazis stehen. Es sind Landtagsabgeordnete darunter, auch Polizisten, Journalisten, Bürger, die sich für Demokratie engagieren, Bürgerinitiativen, Institutionen, linke Läden. Die Rechten haben Namen und Fotos ihrer Gegner gesammelt, manchmal den Beruf und sogar die Privatadresse.

Das ist eigentlich nichts Neues.

Was sie den Abgeordneten an diesem Nachmittag berichtet, könnten die eigentlich schon lange wissen: dass 13 Menschen und Institutionen von jener Hass-Liste Opfer von Straftaten wurden. Dass in Neukölln inzwischen zum zweiten Mal ein linker Jugendtreff angezündet worden ist – zeitgleich mit vier alternativen Einrichtungen. Die meisten Abgeordneten reagieren mit Erstaunen und Kopfschütteln auf den Bericht. Was in ihrer Stadt passiert, war ihnen so nicht bekannt. Der Justizsenator sieht sich zu einer Erklärung veranlasst.

Der Staat schaut zu und macht nichts

Die Website des „Nationalen Widerstands Berlin“ ist seit Jahren das wichtigste Mobilisierungsinstrument der extremen Rechten in der Stadt. Der Staat hat dabei lange zugeschaut. Die Berliner Polizei zum Beispiel hat die Leute, die auf jener Liste stehen, in einem Brief darüber informiert, dass sich „keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung ergeben“ hätten.

Neu allerdings ist der NSU. Auf einen Schlag hat die Republik lernen müssen, dass Neonazis in diesem Land das zerstörerischste Terrornetzwerk seit der RAF aufbauen konnten. Zehn Menschen wurden ermordet. Es war ein Schock fürs ganze Land. Nun suchen alle nach Lösungen.

Zum Schluss ihrer Ausführungen kann Bianca Klose einem Vergleich nicht widerstehen: „Jeder gelungene Mord der Zwickauer Zelle befeuerte diese Gruppe hier, weiterzumachen.“ Auch wenn die Taten des NSU mit der rechten Straßengewalt nicht vergleichbar seien: „Die ideologische Ausrichtung bleibt völlig identisch.“ Das klingt drastisch. Aber kurz nachdem Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufgeflogen waren, fanden die Berater aus Kloses Team in mehreren Bezirken Schmierereien wie diese: „Gewalt ist keinem angeboren, Gewalt wird provoziert. Die NSU ist nur die Antwort auf all den Dreck, der hier passiert.“

Projekte gegen rechts haben es schwer mit der Finanzierung

Der Terror der Rechten, so bitter das klingt, hilft Bianca Klose derzeit dabei, ernst genommen zu werden. Sie kennt das Gegenteil gut. Seit mehr als zehn Jahren beobachtet Bianca Klose die rechte Szene in der Hauptstadt und berät Vereine, Lehrer, Jugendclubleiter, Bezirkspolitiker, Nachbarschaftsinitiativen und auch einzelne Bürger. In diesen Jahren hat sich vor allem eine Erfahrung verstetigt: Wer gegen Neonazis kämpft, der kämpft sehr häufig erst einmal darum, diese Arbeit tun zu dürfen und dafür finanziert zu werden. Die Bedrohung ändert sich nicht. Deren Wahrnehmung aber schwankt wie ein Aktienkurs. Zieht die NPD in einen Landtag ein, dann klingelt tags drauf Kloses Telefon. Journalisten suchen Erklärungen. Erschüttert politisch motivierte Gewalt die Republik, dann wird sie auf Podien und in Talkshows eingeladen und Politiker suchen ihre Nähe. Aber der Alltag? Mühsam.

Berufswunsch „Rechts-Beraterin“ – so war das nie bei Bianca Klose. Das liegt auch daran, dass es ihren Beruf gar nicht in dieser Form gab – sie hat ihn praktisch erfunden. Als sie Ende der 90er Jahre für ein Praktikum von Göttingen nach Berlin kam, da gab es zwei Vorstellungen, wie man Neonazis bekämpft: die einen kümmerten sich um die rechten Jugendlichen, versuchten, sie mit akzeptierender Sozialarbeit zur Einsicht zu lenken. Die anderen kümmerten sich um die Opfer.

Klose war damals Neueinsteigerin. Sie hatte zwar gerade ihre Magisterarbeit über Rechtsextremismus geschrieben, aber von der Praxis wenig Ahnung. Dann machte sie ihr erstes Praktikum in Berlin – und fuhr durch die neuen Länder. Das war eine harte Landung in der Wirklichkeit. Der erste Trip ging nach Wurzen, Sachsen-Anhalt. „Die Nazis standen einfach auf dem Marktplatz rum und dominierten die Szene. Und die sogenannte Zivilgesellschaft schaute zu.“ Die junge Frau war voller Bewunderung für eine Gruppe, die nicht den Mund hielt und bei allem wegsah. „Das waren mutige Leute.“

Bianca Klose war nach dieser Reise klar: Sie wollte nicht Neonazis den Kopf tätscheln. Sie wollte Abgrenzung, und sie wollte diejenigen stärken, die etwas tun wollen, aber Hilfe brauchen. Ich wollte die Hilfe für aktive Demokraten professionalisieren.“ Die Ex-Praktikantin gründete also das Projekt der Mobilen Beratung – es war eine dieser Aufwind-Phasen, der damalige Kanzler Gerhard Schröder hatte gerade den „Aufstand der Anständigen“ ausgerufen. Das Projekt bekam Geld aus einem Bundesprogramm und fing an.

Es änderte sich etwas in Schöneweide

Der erste Anruf kam schnell, ein Jugendclub in Berlin-Köpenick. In dem Bezirk hatte sich die NPD mit ihrer Bundeszentrale niedergelassen. Und im Ortsteil Schöneweide änderte sich auf einmal das Straßenbild. „Der Clubleiter hatte das Gefühl, dass es immer mehr Naziauftritte gab.“ Die marschierten durch die Straßen. Wer konnte, sah weg und ging weg. Ging eben nicht mehr auf den Spielplatz im Wohngebiet, ging so schnell wie möglich über den Bahnhofsvorplatz. Bloß keinen Ärger. Es sah alles danach aus, dass hier Neonazis versuchten, den Plan von der „National befreiten Zone“ umzusetzen, der an vielen Orten in Brandenburg aufging.

Für Klose ist genau das der Albtraum: dass die Grundrechte der Mehrheit und der bedrohten Minderheiten von einer dominanten Szene eingeschränkt werden. Das mobile Beratungsteam kam nach Schöneweide. Der Anfang war hart, die Schritte klein. Im Jugendclub schrieben sie zusammen eine Hausordnung, die es ermöglichte, Rechten die Tür zu weisen. Die Mitarbeiter wurden rhetorisch und argumentativ geschult. Dass die Berater im Bezirk waren, bekamen auch andere mit – und waren froh. Auf einmal erzählten Jugendliche von ihrer Angst, den Bahnhof zu betreten, von ihren vergeblichen Anzeigen bei der Polizei. Kloses Team sprach mit der S-Bahn, mit Bezirksstadträten, mit der Polizei, mit dem Kleingartenverein.

Keiner kann sagen, dass heute in Schöneweide alles gut ist. Es gibt Schätzungen, wonach etwa ein Drittel aller Berliner Neonazis in dem Ortsteil leben. Aus Jugendlichen mit Springerstiefeln sind Familienväter geworden, die ihre Kinder stramm rechts erziehen. Als vor zwei Jahren das Zentrum für Demokratie eröffnete, gingen sofort alle Fensterscheiben zu Bruch. Was aber in Schöneweide gelang, ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Arbeit von Bianca Kloses Projekt im besten Fall verlaufen kann: Alle Parteien engagieren sich – von der Linken bis zur CDU, dazu viele Vereine und Kirchengemeinden. Jedes Jahr wird inzwischen ein großes Fest auf dem einst gefürchteten Bahnhofsvorplatz gefeiert. „Wir sind keine Problemlöser“, sagt Bianca Klose. „Aber wir haben alle vernetzt, die sonst isoliert und vielleicht stumm und erfolglos geblieben wären.“ Wenn jetzt wieder Probleme auftauchen, sind die Wege kurz.

Von den Linken bis zur CDU – alle machen mit

Das klingt alles gut, aber der Alltag ist viel Graswurzelarbeit. Ein Freitagabend, man könnte sich etwas Schöneres vorstellen als eine Latschdemo am Rande der Stadt. Aber hier, am äußeren Rand von Neukölln, sammeln sich in letzter Zeit Neonazis. Und ein Bürgerbündnis will das nicht akzeptieren und demonstriert. Es sind nicht viele Menschen, die hier auf die Straße gehen. Aus den Hochhäusern ringsum flimmert blaues Fernsehlicht, ein paar Leute schauen sehr mäßig interessiert aus ihren Fenstern. Weitgehend beachtungsfrei schlängelt sich die Demo durch die Siedlung. Politiker, lokale Prominenz? Nicht in Sicht. Heute hat der Aufstand der Anständigen mal wieder keine Konjunktur.

Bianca Klose ist da, Fühlung aufnehmen, und Leute unterstützen, die hier den Hintern hochgekriegt haben. Woher kommt die Energie für dieses Engagement? „Weil es wichtig ist“, sagt sie. Dieser Abend scheint nicht zu denen zu gehören, die sie frustrieren. „Es sind andere Momente“, sagt sie. „Was uns ermattet, ist der permanente Kampf darum, dass wir überhaupt arbeiten dürfen. Und es ist das Gefühl, immer wieder ganz bei null anzufangen.“

Die Extremismusklausel lehnt Klose ab

Leute wie Klose sind derzeit gefragt wie selten zuvor. Aber um das Geld für ihre Arbeit kämpfen sie jedes Jahr neu. Seit Familienministerin Kristina Schröder (CDU) über Initiativen wie die Mobile Beratung wacht, müssen die Vereine die umstrittene Extremismusklausel unterzeichnen – ein Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung. Sonst gibt es kein Geld. Dies gilt nur für Initiativen gegen rechts. Kloses Verein hat sich 2011 zusammen mit anderen geweigert. Sie fanden sich zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt. „Wieso wird so etwas gerade von denen verlangt, die die Demokratie verteidigen?“, fragt sie. Ihr Projekt hat es trotzdem vergleichsweise gut getroffen – unter Rot-Rot wurde Kloses Arbeit von Berlin finanziert, ob der neue Senat damit weitermacht, ist unklar.

In ihrem Protest denkt Klose auch an ihre Kollegen zum Beispiel in Sachsen – dort, wo die Mörder vom NSU lebten – Leute, die mit einer erheblichen persönlichen Bedrohung leben, deren Mittel aber weiter schwinden. Bianca Klose kann sich da richtig in Rage reden: „Es ist so frustrierend, dass Menschen, die in Landstrichen arbeiten und leben, die Frau Schröder noch nicht mal betreten hat, dann auch noch durch so was behindert werden.“

Es sind diese Momente, in denen sie mit ihrer Arbeit und der Wirklichkeit hadert. Dann denkt sie an das schon zweimal abgebrannte Jugendzentrum in Neukölln, das jetzt wieder geöffnet hat. Und findet, dass Weitermachen sich lohnt.