Berlin gratuliert der Präsidentin Tsai Ing-wen nicht zur Wahl – andere Länder schon. Das Verhalten der Regierungen sagt viel über deren aktuellem Verhältnis mit Peking aus.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Bei den Arbeitszeugnissen kennt man das ja. „Er hat sich stets bemüht“ klingt gar nicht schlecht, ist im Jargon der Personalverantwortlichen aber ein Totalverriss. Auch die Welt der Diplomatie hat ihre eigene Sprache. Als Emmanuel Macron zum Präsidenten Frankreichs gewählt wurde, hat die deutsche Kanzlerin „herzlich“ gratuliert und sich „sehr gefreut“. Bei der Wiederwahl des russischen Präsidenten Wladimir Putin fehlte die Freude, doch die Gratulation war immerhin noch „herzlich“. Und als Donald Trump im November 2016 zum US-Präsidenten wurde, ließ Angela Merkel übermitteln „ich gratuliere“. Für Freude und Herzlichkeit war kein Platz. Als jüngst Taiwans Präsidentin Tsai Ing-Wen im Amt bestätigt wurde, gab es aus Berlin nicht einmal eine offizielle Gratulation. Auf eine entsprechende Frage in der Bundespressekonferenz erklärte der Regierungssprecher, dazu nichts sagen zu können.

 

Ein diplomatischer Eiertanz

Die westliche Welt zeigt sich zwar immer wieder beeindruckt und zufrieden, dass sich in Taiwan eine Demokratie etabliert hat, offiziell als Land anerkennen darf sie diese aber nicht. Da ist Peking davor, das in der Insel mit der Größe Baden-Württembergs eine abtrünnige Provinz sieht. Es kann nur ein China geben, lautet die Devise auf dem Festland. Nicht nur die Bundesregierung vollführt daher einen diplomatischen Eiertanz, unterhält keine Botschaft auf der Insel, sondern ein „Deutsches Institut“ – und hält sich bei Glückwünschen lieber vornehm zurück.

Der US-Politik ist dieser Wesenszug eher fremd. Außenminister Mike Pompeo gehörte zu den gewichtigsten Gratulanten, und lobte „die robuste Stärke des demokratischen Systems“. Japans Außenminister lobte und gratulierte ebenso. Das Verhältnis von China zu Japan und den USA ist ohnehin sehr speziell, und die offiziellen Depeschen nach Taipeh werden es nicht verbessern. Aus Europa wagten sich die Briten am meisten aus der Deckung. Das Glückwunschtelegramm aus London kam von Außenminister Raab – und ist Zeichen einer interessanten Entwicklung. Noch vor Jahresfrist buhlte London regelrecht um Pekings Freundschaft, doch seit den Protesten in Hongkong ist das Verhältnis deutlich abgekühlt.