Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung in Ihrer eigenen Partei? Es gibt erneut Zank um das Projekt einer Sammelbewegung, wie es Linke-Mitbegründer Oskar Lafontaine vorgeschlagen hat. Warum fällt es der Partei so schwer, Streit zu umgehen?
Gysi: Ich habe meiner Partei schon vor Jahren zu erklären versucht, dass man sich höchstens zehn Prozent Selbstbeschäftigung leisten kann. 90 Prozent müssen Politik sein. Aber wir haben immer Zeiten, wo das umgekehrt ist. Das ist eine Katastrophe. Zudem reden wir über Dinge, die eigentlich schon entschieden waren. Sollen wir uns wirklich mit der CSU in eine Obergrenzen-Debatte verrennen. Welche Zahl wollen wir dann benennen? Nach welchen Kriterien? Zweitens geht es um die europäische Integration. Sind wir nun dafür oder dagegen? Da haben wir auch widersprüchliche Positionen. Dabei ist diese Frage für die Jugend sehr wichtig. Und jetzt kommt noch die Frage der Sammlungsbewegung dazu. Ich habe im Prinzip nichts dagegen. Wir wollten ja immer, dass Leute, die nicht bei uns Mitglied werden wollen, bei uns in irgendeiner organisierten Form dabei sein können. Allerdings fiel auch das Wort einer neuen Volkspartei. Und die brauchen wir nun wirklich nicht. Wenn jemand eine neue Partei gründen will in der Hoffnung, da kommen jetzt alle Vernünftigen hin, dann muss ich sagen: Da kommen auch alle Unvernünftigen hin. Eine solche Partei zersplitterte die Linke.
Gehört Sektierertum nicht traditionell zur Linken dazu?
Gysi: Es gehört insofern dazu, als wir ja versuchen mussten, auch diese Gruppierungen bis zu einem gewissen Grad zu integrieren. Das geht auch. Die Frage ist nur: Wer dominiert das Ganze? Und an dieser Stelle darf sich nichts ändern. Bisher haben immer die Reformer die Hauptrichtung bestimmt. Dann lassen sich am Rande auch andere Auffassungen tolerieren. Es darf sich aber nicht verschieben. Für mich gilt: Ich bin aufgewachsen mit der reinen sozialistischen Lehre. Ich will auf keinen Fall zum Dogma zurück.
Schwindet Ihre Autorität in der Partei?
Gysi: Nein, aber Vorsitzender der Europäischen Linken ist nun Mal ein anderes Amt als jenes, das ich früher hatte. Ich bin jetzt in einer anderen Rolle. Aber sollte es wirklich hart auf hart kommen, kann ich auch loslegen. Ich hoffe, es wird nicht nötig.
Welches Programm haben Sie an Ihrem heutigen Geburtstag?
Gysi: Ich komme in den Bundestag und gehe zur Fraktionssitzung. Und abends gehe ich ausschließlich mit meiner Familie essen. Darauf freue ich mich.