An diesem Freitag beginnt in Stuttgart das Festival Jazz-Open. Einer der prominentesten Gäste ist der US-Sänger und Songschreiber Gregory Porter.

Stuttgart – Sein Markenzeichen sind die Ballonmütze und der um den ganzen Kopf geschlungene Schal. Und natürlich seine sehr prägnante Stimme, die den amerikanischen Sänger in sehr kurzer Zeit sehr weit nach oben katapultiert hat.

 

Nachdem er bereits im vergangenen Jahr bei den Jazz-Open zu Gast war, haben ihn die Festivalmacher angesichts des großen Erfolgs nun erneut zu einem Gastspiel auf dem Schlossplatz verpflichtet.

Herr Porter, als ich Ende 2010 „1960 What?“ von Ihrem Debütalbum „Water“ hörte, dachte ich an ein Classic-Soul-Revival und musste dann erleben, dass Sie in der Folge als vielfach ausgezeichneter Headliner die Jazz-Festivals eroberten. Liefern Sie eigentlich Soul oder Jazz?
Hahaha! Nette Frage! Vielleicht ist es ja mein Soulful Approach als Jazzsänger, der mich diesen Spagat, falls es denn einer ist, schaffen lässt. Vielleicht bin ich ja auch eher ein Singer-/Songwriter, der sich den Jazz als Klangreservoir gewählt hat? Blues, Gospel, Soul, Funk – all das kann man im Jazz finden. Vielleicht spüren die Menschen auch einfach die Ehrlichkeit in meiner Performance.
Eine Kompilation ihrer Songs trägt den Titel „Issues of Life“. Singen Sie über die „Dinge des Lebens“?
Das ist richtig. Wobei ich für das Album mit diesem Titel nicht wirklich verantwortlich bin. Das ist eher eine Zusammenarbeit einer Plattenfirma und einigen Produzenten, mit denen ich vor vielen Jahren mal gearbeitet habe. Aber die Idee überzeugt mich: Lebenserfahrungen in Melodien und Songs transformieren. Wichtiger als die Genres, die ich wähle, ist eben die Botschaft, die ich transportiere.
Ihre Lieder handeln davon, wie wertvoll das Leben ist, von der Politik des Alltags und der Erfahrung des Rassismus. Davon erzählt der Jazz heutzutage eher selten, oder?
Das hängt damit zusammen, dass ich mich meinen Songs in der Manier eines Singer-/Songwriters nähere. Jedes Thema, das mit menschlichen Gefühlen zu tun hat, ist es wert, genauer unter die Lupe genommen und in einen Song verwandelt zu werden. Das hat immer etwas mit einem tiefen Respekt vor der Liebe, dem Leben und den Menschen zu tun.
In einem Interview haben Sie erklärt: „I sing what I know about.“ Liegt darin das Geheimnis Ihres Erfolges?
Um Emotionen angemessen künstlerisch behandeln zu können, sollte man dabei wohl in erster Linie auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Oder, um es etwas pragmatischer zu fassen, vielleicht auch auf Erfahrungen von geliebten Menschen oder sehr enger Freunde. Zudem sollte man als kreativer Mensch wohl auch über die emphatische Fähigkeit verfügen, das eigene Ich zu überwinden, um sich in einen anderen Menschen oder auch in eine bestimmte Situation hineinversetzen zu können. Persönlich ziehe ich es allerdings vor, doch über Dinge zu schreiben, die ich selbst erlebt habe.
Ihr Kollege Robert Glasper hat aktuell den Jazz als zu akademisch kritisiert. Der Jazz wisse zu viel, habe aber nichts mehr zu sagen. Teilen sie diese Kritik?
Nun, ich denke, ein ganz entscheidender Vorteil von Jazz ist, dass unter seinem Schirm sehr viel Platz ist. Es gibt jede Menge Farben der Palette, die ich mit meiner Musik gar nicht nutzen kann oder will. Deshalb gibt es diese Farben aber trotzdem – und jemand anderes wird sie kreativ zu nutzen wissen. Jazz bietet hinreichend Platz für vielerlei Unterschiedliches. Wenn sich jemand der Musik mit einem akademisch-mathematischen Ansatz nähert, soll er das fraglos tun. Aber ich komme als Künstler vom Gefühl und vom Geschichtenerzählen her. Ich gebe dem Jazz zurück, womit er mich, als ich jung war, berührt hat – und das war nun einmal das Gefühl.
Ihr Debütalbum ist viereinhalb Jahre alt. Seither haben Sie zwei weitere Alben veröffentlicht, Kollaborationen mit Jamie Cullum, David Murray, Nicola Cone und Max Herre absolviert, so ziemlich jedes Jazzfestival in Deutschland besucht. Wenn Sie 19 Jahre alt wären, würde man sich Sorgen machen, dass Sie von der Industrie ausgequetscht werden.
Ha! Ich bin keine 19! Nun, ich denke, wenn ich mir die Zeit nehme, um zu tun, was ich tun will und darüber ehrlich nachdenke, was ich tun will, dann sollte es mir möglich sein, weiterhin eine organische Verbindung zum Publikum zu halten. Alles ist möglich. Immer. Ich bin mir der ganzen negativen Seiten der Musikindustrie sehr wohl bewusst. Ich werde versuchen, ich selbst zu bleiben und zu meinem Publikum zu singen. Ich werde aber auch ohne Publikum weiter singen, da bin ich mir sicher.
Der junge Saxofonist Kamasi Washington erregt gerade mit einem von Alice Coltrane und Leon Thomas inspirierten Spiritual Jazz großes Aufsehen. Ihre Musik weist in die gleiche Richtung. Ein Trend?
Oh, keine Ahnung! Darüber denke ich nicht nach. Spiritual Jazz ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Eine Spielart des Jazz, die auch in Kirchen sehr gut funktionierte. Ich komme ja ursprünglich vom Gospel.
Aktuell diskutiert man wieder aus gegebenem Anlass die Rassenfrage in den USA. Ist es Zeit für politisch wachen, sensiblen, aber friedlichen Soul, wie ihn Curtis Mayfield in den siebziger Jahren spielte?
Ich bin ein größer Fan von Mayfield, Marvin Gaye oder Donny Hathaway. Wenn Künstler Teil ihrer sozialen Umfelds sind, müsste man eigentlich auf ein Soul-Revival setzen. Es ist gerade politisch sehr viel in Bewegung in den USA, darüber muss dringend gesprochen werden. Auf meinem kommenden Album wird es auch darum gehen. Weil ich aktuell so selten in den USA bin, könnte ich mir sogar vorstellen, dass diese persönliche Distanz mir eine größere Tiefe im Songwriting ermöglicht.

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